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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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mittschiffs hin, zwei
Überbrückungskabel, deren Klammern sie zu Angelhaken
zurechtgebogen hatten, resolut in den Fäusten. Mungo und Jong
packten verrostete Datsun-Stoßstangen, die als Ruder
dienten.
    Neil stand am Ufer und beobachtete, wie das Füllhorn sich durch die Brecher in die dunklen Fluten rings um die Insel
hinauskämpfte. Als das Floß im Nebel verschwand, wandte er
sich ab und schloß sich der kleinen Kolonne an, die ernst den
Rückweg zur Stadt antrat.
    Im Laufe der nachfolgenden zwei Tage blieben Neil und die
übrigen Seeleute innerhalb der Mauern, lungerten auf dem
schlickigen Veranstaltungsplatz herum, als wären sie Londoner
des 14. Jahrhunderts, die dem Schwarzen Tod ins Angesicht blickten.
Sie verständigten sich in Knurrlauten. Sie träumten von
Essen. Nicht nur von den aquatischen Delikatessen, die ihnen
Kapitänin Haycox’ Exkursion verhieß (Hummersuppe,
Gemischte Fischpfanne, Schwertfisch-Pastetchen), keinen schlichten
Imitationen gängiger gutbürgerlicher Gerichte, die sie aus
Follingsbees Kombüse kannten, sondern auch beliebter,
altüberlieferter Seemannskost: Schiffszwieback, Dänischer
Fischsalat, Labskaus. Der Nebel wallte dichter. Stoßgebete
raunten gen Himmel. Tränen flossen. Neil vermutete, daß
jedem der Seeleute die gleichen Gedanken wie ihm durch den Kopf
kreisten. Ja, es konnte dahin kommen, daß Haycox und ihre
Begleiter sich mittels Fischfang fröhlich bis nach Portugal
durchfutterten und anschließend die Mühe sparten, für
die Rettung ihrer gestrandeten Kollegen zu sorgen, aber das wäre
Verrat geradezu kosmischen Maßstabs. Hungernde hatten ihre
Ehre, der Vollmatrose spürte es. Ein beispielloses Band der
Gemeinsamkeit umschlang alle, die ernsthaft überlegten, ob sie
die eigenen Zehen abschneiden und das rohe Fleisch von den
Knöchelchen nagen sollten.
    »Ihr kotzt mich an«, nörgelte Isabel Bostwick.
»Alle kotzt ihr mich an. Ihr seid… ihr seid eben Männer, allesamt bloß Abschaum. Es ist nur ein sehr
kleiner Schritt von der freiwilligen Teilnahme an einer Orgie zur
Vergewaltigung, das hab ich auf dieser Fahrt herausgefunden, ein ganz kleiner Schritt.«
    »Ich wüßte nicht«, entgegnete Stubby Barnes,
»daß du während der Party auf Feinheiten
geachtet hättest.«
    »Ich hoffe bloß«, murmelte Juanita Torres,
»ich bin nicht schwanger.«
    »Euer gesamtes Gequassel«, sagte Neil, »ist doch
nichts als Kraftverschwendung.«
    Am Morgen des dritten Tags kam die kleine Füllhorn-Besatzung auf den Veranstaltungsplatz getorkelt.
Ihre Gesichter hatten ein schlaffes, eingefallenes Aussehen, als
wären sie auf im Schrumpfen begriffene Luftballons gemalt. Sie
brachten eine in zweierlei Hinsicht schlechte Neuigkeit. Nicht nur
umringte eine unüberwindliche Barriere aus Strudeln und
Wasserhosen die Van-Horne-Insel, zudem fehlte es in ihren Buchten
geradeso an Fisch wie in den staubigen Meeren des Mondes.
    »Wir haben nur unseren angemessenen Anteil gegessen«,
beteuerte Haycox, als sie den Sack mit den Ködern auf den
Steinfliesen absetzte.
    Nacheinander schlurften die zurückgebliebenen Seeleute zu dem
Behälter, steckten eine Hand hinein und holte sich eine
vertretbare Ration heraus. Neils Portion umfaßte einen halben
MARS-Riegel, an dem elf Sultaninen klebten, einen Batzen
Leberkäse und fünf Stücke Russisches Brot, die
Buchstaben K, T, A, S und E. Ihm fiel auf, daß die Buchstaben
in anderer Anordnung das Wort STEAK ergaben.
     
    17. August
    Kurs: Kein Kurs. Geschwindigkeit: 0 Knoten.
    Schlapp, apathisch und randvoll mit Schiß sind die Meuterer
vor 24 Std. angekrochen gekommen, aus dem Nebel herbeigewankt wie
›ein Haufen Komparsen in Die Nacht der lebenden Toten‹ (so Pater Ockham). Im ganzen Leben habe ich noch keine Ansammlung
dermaßen verlotterter Seeleute gesehen. Allen voran Dolores
Haycox, ihre falsche Kapitänin, legten sie die Waffen nieder
– Raketenstartgeräte, Harpunengewehre. Signalpistolen,
Sprengstoff, Paradesäbel – und scharten sich im Schatten
des Schiffsrumpfs zusammen.
    Ockham betrachtete ihre Ankunft als keine Überraschung. Schon
nach seiner Rückkehr aus der versunkenen Stadt hatte er mir
erzählt, sie leisteten sich ein derartig ausuferndes Bacchanal,
daß ihre Vorräte am 9. August erschöpft sein
müßten. Ausgegangen von der Annahme, daß der Pater
sich nicht verschätzt hat, sind die Meuterer nach Verzehr des
letzten Krümels noch eine Woche lang verstockt geblieben.
    Beeindruckend.
    Kaum sah ich sie, habe ich befohlen, den Anker

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