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Das Gottschalk-Komplott

Das Gottschalk-Komplott

Titel: Das Gottschalk-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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untätig dagestanden und nur Kaugummi gekaut hatte, ein hochgeschossener, hagerer Jüngling – die Schlaksigkeit verriet seine Jugend –, streckte kaltschnäuzig einen Fuß aus, um ihn zum Stolpern zu bringen, als er sich eilig entfernte. Doch irgendwie – wie, das bekam Lyla nicht mit –, befand der ausgestreckte Fuß sich genau an der Stelle, wohin Madisons nächster Schritt fiel, so daß sein ganzes Körpergewicht sich auf das Hindernis legte, ohne daß er aus dem Gleichgewicht geriet, und als der verblüffte, schlagartig wutentbrannte Beamte den Schmerz spürte, trennten bereits ein Dutzend Passanten sie voneinander.
    „Entschuldigen Sie die Verzögerung“, sagte Madison, als er sich wieder zu Lyla gesellte. „Es war nicht nötig, daß Sie gewartet haben. Ich kann das Hotel, das Sie empfehlen, selbstverständlich allein finden.“
    Bestimmt. Warum also hatte sie gewartet? Um Begleitung zu haben, erkannte sie unversehens. In der vergangenen Nacht hatte sie neben dem Bett gelegen, auf dem Dan gestorben war, wo er noch immer lag, wo … Würg ! Immodernen, adretten Amerika sprach man nicht von seinen Organen, von Herz, Leber, Nieren, denn das waren Begriffe, die die Ärzte im Krankheitsfall benutzten, und schon gar nicht stellte man irgendeinen Zusammenhang mit den säuberlich eingefrorenen, keimfreien, in Plastik gehüllten Sachen her, die man als Lebensmittel erwarb. Dans Leib war aufgehackt worden, und seine Wunde bezeugte, daß auch Menschen diese Dinge besaßen, diese blutigen, feuchten, schlabbrigen Dinger …
    Benommen blickte sie sich in der Menschenmasse um. Über die Straße bewegte sich eine Menge, wie durch jede Straße jeder modernen Stadt eine Menschenmenge wimmelte. Aberhunderte von Herzen, Lebern und Nieren, dachte sie, viele Kilometer von Gedärm, genug Liter Blut, um den Bürgersteig mit Rot zu fluten.
    „Sind Sie wohlauf, Miß Clay? Sie sehen ziemlich blaß aus.“ Eine Berührung an der Schulter gab ihr einen gewissen Halt, und sie war nur zu froh, denn ringsum hatte die Welt für einen Moment zu schwanken begonnen.
    „Nimm deine dreckigen Pfoten von dem Blanks-Mädchen!“ kreischte jemand, und augenblicklich wandten sich in beiden Richtungen zwanzig Schritt weiter die Gesichter ihnen zu, doch zum Glück war es lediglich eine ältere Frau mit faltigem Mund und strengen Augen unter einer vom Altern gefurchten Stirn, die das Gezeter ausstieß.
    „Soll er statt dessen dich abfummeln, alte Schlampe?!“ schrie Lyla zurück. Gelächter erscholl, und schon hatten die Leute den Vorfall vergessen, außer der Alten selbst, die eine mörderische Miene schnitt. In diesem Jahrhundert, Erbe der Vorfahren, die dafür verflucht sein sollten, wußten sogar nette, alte Omas, was es hieß, so sehr zu hassen, daß man bereit war zum Töten. Man drehe die große Handtasche um, die sie an sich drückt, und vielleicht fällt ein Blazor heraus, wie der verdammte Gottschalk mir einen neben Dans Leichnam, als er noch warm war, aufzuschwatzen versuchte …
    Immerhin hatte die flüchtig angespannte Situation bewirkt, daß ihr Anfall von Benommenheit rasch wich. „Ich glaube, ich hätte Sie warnen sollen, Mr. Madison“, sagte sie mit normaler Stimme. „Auch wenn das hier ein Viertel ist, wo Niebs ein Hotelzimmer finden und in Restaurants bedient werden, handelt es sich um eine nicht unbedingt integrierte Nachbarschaft.“
    „Schon recht, Miß Clay. Man muß mit so was rechnen. Beim Heer habe ich gelernt, auf mich achtzugeben, und das vergißt man nicht.“
    Nachdenklich musterte sie ihn, betrachtete ihn zum erstenmal als die Person Harry Madison, nicht den zu spät entlassenen Ex-Psychopatienten Harry Madison. Sie dachte über das ihrem Gedächtnis frisch eingeprägte Echo der zuversichtlichen Worte nach, die er gerade ausgesprochen hatte, und stellte fest, daß er eine außergewöhnlich angenehme Stimme besaß, einen Baßbariton wie ein altmodischer Sänger, und er betonte beim Sprechen ausgesuchte einzelne Wörter, statt seine Sätze in monotonem Schnellfeuer auszustoßen, wie man es in Unterhaltungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts meistenteils erlebte.
    Und da fiel ihr auf, daß sie wegen Dans Tod vorerst allein dastand.
    Dan hatte seinen Freund Berry gehabt. Berry, so entsann sie sich undeutlich, hatte seinerseits einen Freund gehabt – oder möglicherweise den Freund Marthas, des Mädchens, mit dem er zusammenlebte. In einer Stadt wie dieser brauchte man einen Freund … Aber wieso pflegte man sich

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