Das Gottschalk-Komplott
verheerende Verlauf der Übung ihrer Bürger-Wehrsportgruppe noch allzu frisch im Gedächtnis der Leute ruhte, führte heute dazu, daß die ansonsten mehr oder weniger beständige Folge von KommNetz-Anrufen, die so schön von nachbarschaftlicher Anteilnahme zeugten, so gut wie ganz ausblieb und statt dessen dumpfe Stille das Haus erfüllte, durchsetzt vom knistrig angespannten Wissen darum, daß man die Verräterei Lionel Priors, die man in seiner erfolgreichen Ausführung des Scheinangriffs auf die Heime seiner Nachbarn sehen zu müssen glaubte, in Dutzenden von KommNetz-Gesprächen ausgiebig durchhechelte, so nahebei, daß es nachgerade möglich sein mochte, sich hinauszuschleichen und die Gesprächsteilnehmer zu belauschen.
Zusätzlich ging die schreckliche Befürchtung um, Morton Lenigo könne mit einem hundertprozentig erfolgssicheren Plan für die landesweite Machtergreifung der Niebs angekommen sein, und im Laufe des Tages hatten die Gottschalks für einige unvergleichlich wirksame, aber sehr kostspielige Waffen geworben, die sich in diesem teuren Viertel so kurze Zeit nach der kostenintensiven Anschaffung der üblichen neuen Gottschalks-Frühjahrsmodelle niemand leisten konnte.
Bei alldem, das Abendessen eingeschlossen, bewahrte Celia die Ruhe eines Marmorstandbilds und befleißigte sich höflichen Geplauders über berufliche Dinge ihres Bruders, die seit ihrer Klinikeinweisung in der Welt geschehenen Angelegenheiten sowie die verschiedenartigen Antiquitäten, die er in letzter Zeit erworben und hübsch in den Wohnbereich integriert hatte. Ihre Gelassenheit war darauf zurückzuführen, daß sie während der fünf Monate in der Ginsberg-Klinik unablässig Psychopharmaka verabreicht erhalten hatte, und selbst wenn sie nun sofort mit der Einnahme der ihr verschriebenen Medikamente aufgehört hätte, wären noch mehrere Tage verstrichen, ehe der kumulative Effekt auf ihre Persönlichkeit sich abnutzte.
Als ihr Ehemann kam, Matthew Flamen, hatte sie soeben den Nachtisch verzehrt, und nach einer kühlen Begrüßung mit Hinhalten der Wange zum Küssen erklärte sie, es sei für sie ratsam, gleich ins Bett zu gehen, denn man habe sie gewarnt, sich in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr in die Außenwelt nicht zu überanstrengen. Gute Nacht.
Warum der Central Queens-Tunnel der Rasan Transit von kurz vor Sonnenaufgang bis zum Nachmittag außer Betrieb war
Eine Chemiestudentin namens Allilene Hooper, 19 Jahre alt, hatte das hausgemachte Nitroglyzerin, das sie ihrem Freund bringen wollte, zu stabilisieren vergessen, und es explodierte infolge der Vibrationen.
Die kleinen Ärgernisse des Lebens
Weil an diesem Tag noch das zeitweilig in Kraft getretene Ausnahmerecht galt, wimmelte es an den RasanTransit-Haltestellen in der ganzen Stadt von bewaffneten Polizisten, und Lyla fuhr die Rolltreppe vom Bahnsteig nach oben unterm nichtmenschlichen Glotzen froschgesichthafter Gasmasken hinauf, sich mit schauriger Klarheit der Gegenwart jenes fremden Knieblanks hinter ihr bewußt, für den sie in einer heftigen Anwandlung des Widerwillens gegen die Ginsberg-Klinik spontan die Verantwortung übernommen hatte – nicht in juristischer Hinsicht, weil sie noch minderjährig war, sondern nur moralisch. „Er ist jahrelang nicht als freier Mann durch New York gelaufen, müssen Sie wissen“, hatte nämlich Reedeth sachlich festgestellt, „und es hat sich manches verändert.“
Was hätte sie anderes sagen können, als sie geantwortet hatte? „In der Nähe meiner Wohnung ist ein Hotel, das nimmt auch Niebs auf. Ich fahre mit ihm in die Stadt und zeig ihm, wo es ist.“
Und erst als er freundlich sagte: „Das ist sehr nett von Ihnen, Miß Clay, denn obwohl er so lange hier festgesessen hat, ist er eine wirklich bemerkenswerte Persönlichkeit und ein ausgezeichneter Elektroniker, und er dürfte nach seiner Entlassung ziemlich gut zurechtkommen …“, da kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Eine ‚bemerkenswerte Persönlichkeit’ war unter den Zuschauern, als ich gestern in der Klinik aufgetreten bin und aus der Echofalle geohrfeigt werden mußte (mit diesen unbegreiflichen Nachwirkungen) – könnte ER ausgewesen sein?
Immer wieder sah sie sich verstohlen um, und jedesmal war er noch da, fuhr gleichgültig, wie jeder andere, mit ihr die Rolltreppe empor, eine schwere Tasche über der Schulter, die wahrscheinlich seine Habseligkeiten enthielt, die er während seines Aufenthalts in der Klinik hatte behalten dürfen,
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