Das Grab des Herkules
gefragt: Was haben Sie anschließend mit ihr vor?«
»Wie meinen Sie das?«
Mac senkte das Buch. »Ich habe mich mit Nina unterhalten.«
»Na großartig.« Chase schnaubte. »Lassen Sie mich raten: Sie hat Ihnen erzählt, dass ich ihr auf die Nerven gehe, weil ich mich in meinem Job eingezwängt fühle und sie bloßstelle, wenn sie sich mit ihren neuen großkotzigen Freunden kurzschließt, bla-bla-bla.«
»Ganz im Gegenteil. Wissen Sie, Nina ist eine außergewöhnlich intelligente und aufmerksame junge Frau.« Mac sah Chase mit scharfem Blick an. »Sie sollten demnächst mal mit ihr reden.«
»Warum, was hat sie gesagt?«
»Es steht mir nicht zu, mich dazu zu äußern. Aber Sie sollten das Gespräch suchen, bevor Sie sich nach Europa aufmachen, um Ihrer Ex-Frau hinterherzujagen.«
Chase entging nicht, dass Mac die Vorsilbe »Ex« betonte. »Dazu ist keine Zeit mehr«, sagte er abwehrend. »Und was immer Nina dazu meint, das hier ist kein persönlicher Rachefeldzug. Yuen fördert Uran, was bedeutet, dass er es verkauft, und daraus wiederum folgt, dass irgendwelche üblen Schurken das Zeug kaufen . Wenn ich Yuen zu fassen kriege …« Er lächelte emotionslos. »Dann wird er auspacken.«
Sein ehemaliger Vorgesetzter musterte ihn forschend mit dem Lügendetektorblick des erfahrenen Verhörleiters. »Sind Sie sich absolut sicher, dass dies Ihr einziges Ziel ist, Eddie?«
»Ja«, antwortete Chase nach kurzem Nachdenken.
Mac fixierte ihn noch eine Weile, dann nickte er schließlich. »Also schön. Wenn Sie unbedingt auf diesem verrückten Vorhaben bestehen, wird am Flughafen ein neuer Pass für Sie bereitliegen. Was immer Sie vom MI6 halten mögen, die Jungs sind durchaus fähig. Jedenfalls auf einigen Gebieten.«
»Danke, Mac. Ich schulde Ihnen einen Gefallen.«
»Mehr als einen«, rief Mac ihm in Erinnerung, legte das Buch weg und erhob sich. Chase wandte sich grinsend wieder dem Computer zu.
»Sophia wird nicht mehr zu Ihnen zurückkehren«, sagte Mac von der Tür aus.
Chases Grinsen verflog. »Das … hätte ich auch niemals erwartet.«
»Ä-hem.« Das Räuspern drückte einen stärkeren Vorwurf aus, als Worte es vermocht hätten. »Eddie, Sie erinnern sich vielleicht noch, was ich Ihnen beim Regiment über den Kampf bis zum Ende gesagt habe?«
»Ja, natürlich. Sie haben sich so oft darüber ausgelassen, dass ich es statt ›Wer wagt, der gewinnt‹ als Motto benutzt habe.«
Mac wirkte einen Moment lang belustigt, dann nahm sein Gesicht einen Ausdruck an, den Chase noch nie bei ihm gesehen hatte. Er wirkte auf einmal sehr traurig.
»In meinem ganzen Leben habe ich nur einen Kampf nicht bis zum Ende ausgefochten. Damals glaubte ich, es wäre nicht der Mühe wert. Aber mittlerweile bedauere ich nichts mehr.«
»Worum ging es?«, fragte Chase, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Ich bin ein alter Mann in einem leeren Haus, Eddie«, sagte Mac seufzend. »Hätte ich mehr um meine Ehe gekämpft, wäre ich jetzt nicht allein. Lassen Sie sich von Ihrem Stolz nicht davon abhalten, um das zu kämpfen, was Ihnen etwas bedeutet. Was Ihnen beiden etwas bedeutet.« Er wandte sich ab. »Machen Sie jetzt Ihren Anruf. Ich kümmere mich um den Rest.«
Chase sah seinem Exboss nach, ohne ihn wahrzunehmen, denn er war in Gedanken versunken. Erst nach einer Weile fasste er sich wieder und griff entschlossen nach dem Telefonhörer.
Nina erwachte unvermittelt und versetzte das Badewasser in wogende Bewegung. Im dampfenden Wasser – das inzwischen nur noch lauwarm war – hatte sie sich so tief entspannt, dass sie irgendwann eingenickt war. Sie war kurz verwirrt, weil sie die unbekannte Umgebung nicht zuordnen konnte, richtete sich auf, nahm ein Handtuch vom Halter, schlang es sich um den Leib und stieg aus der Wanne. Es handelte sich um ein ausgesprochen eindrucksvolles Exemplar – eine freistehende Riesenwanne aus emailliertem Metall, deren schmiedeeiserne Füße Löwenpranken glichen. In ihre New Yorker Wohnung hätte sie nicht gepasst, doch sie musste zugeben, dass das Ungetüm einen ganz eigenen Charme hatte.
Nina trocknete sich ab, sah auf die Uhr und stellte zu ihrer Verblüffung fest, dass sie sich bereits seit über zwei Stunden im Bad aufhielt. Sie schlang sich das Handtuch um den Kopf und schlüpfte in den Bademantel, den Mac ihr gegeben hatte, damit er ihre schmutzige Kleidung waschen konnte. In Anbetracht des Verschmutzungsgrades ihrer Sachen bezweifelte Nina jedoch, dass diese jemals sauber
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