Das Grab des Herkules
ihren manikürten Fingernägeln auf die Tischplatte. Auf das Manuskript konnte sie sich nicht mehr konzentrieren, weil sie unentwegt dachte, dass sie Chase bei seiner Rückkehr erwürgen würde.
Als eine Glocke schrillte, schreckte sie zusammen. War das ein Feueralarm? Besorgt unternahm Nina einen neuerlichen Versuch, den Schreibtisch anzuheben. Diesmal rutschte er tatsächlich ein Stück weit über den Boden, doch es gelang ihr nicht, das Tischbein so weit anzuheben, dass sie die Kette darunter hätte hindurchziehen können.
»Hey! Rocky! Ich könnte Ihre Hilfe brauchen!«, rief sie wütend.
Keine Antwort. Irgendwo im Gebäude wurde laut gerufen.
Nina zerrte erneut an der Kette. Wenn sie das Buch auf den Boden legte und damit ihren Spielraum erhöhte, würde es vielleicht gehen …
Ein Geräusch, diesmal in größerer Nähe, ließ sie erstarren.
Es kam ihr bekannt vor. Erschreckend vertraut. Es klang wie der Einschlag einer Kugel in eine Wand.
Nina schüttelte verwirrt den Kopf. Sie musste sich getäuscht haben, denn sie hatte ja keine Schüsse gehört …
Ganz in der Nähe ertönte ein Schrei, der unvermittelt abbrach, als sich mehrere Projektile mit einem trockenen Knall in Holz und Stein bohrten.
Popadopoulos saß auf dem Klo, las Zeitung und wartete darauf, dass die Dinge ihren natürlichen Lauf nahmen. Es hatte keinen Sinn, etwas zu überstürzen, das hatte er schon vor vielen Jahren gelernt. Manche Dinge brauchten eben ihre Zeit …
Als er ein seltsames Geräusch vernahm, eine Art rhythmisches Hämmern, hob er den Kopf. Nach einer Weile wurde er auf ein anderes Geräusch knapp an der Hörschwelle aufmerksam. Eine Alarmglocke?
Das Schrillen wurde lauter, als jemand die Tür der Herrentoilette aufriss. Ja, das war eindeutig eine Alarmglocke …
Da er abgelenkt war, entglitt ihm die Zeitung. Verärgert beugte Popadopoulos sich vor, um sie aufzuheben, als unmittelbar über seinem Kopf die Kabinentür zersplitterte, durchbohrt von einer Kugelsalve. Wandfliesen zerschellten, Porzellanscherben regneten auf ihn herab.
Popadopoulos hielt den Kopf eingezogen. Zumindest hatte jetzt sein Warten auf den natürlichen Lauf der Dinge ein Ende.
»Scheiße! Scheiße! « Nina warf sich gegen den Tisch und versuchte, die Tür zu blockieren.
Draußen war jemand. Der Türgriff wurde heruntergedrückt …
Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung wuchtete Nina den Schreibtisch gegen die Tür und verrammelte sie. Instinktiv duckte sie sich unter die Tischplatte und zog das Buch auf den Boden herunter. Keine Sekunde zu früh, denn schon platzten schartige Löcher aus der Tür, als das Holz von außen mit einer Schalldämpfer-Maschinenpistole beharkt wurde.
Nina schrie auf und warf sich zur Seite.
Panzerbrechende Munition!
Der Tisch bot ihr keine Deckung, und sonst gab es nichts im Raum, wohinter sie sich hätte verstecken können, selbst wenn sie herangekommen wäre.
Das Schießen hörte auf. Der Mann vor der Tür rief jemanden zu sich.
Nina rammte die Schulter unter die Tischplatte und drückte sie nach oben, spannte die Muskeln bis zum Zerreißen an …
Das Tischbein hob sich kaum einen Zentimeter – doch es reichte.
Nina riss die Kette darunter hervor, packte das Buch und hielt verzweifelt Ausschau nach einem Ausgang oder einem Versteck. Beides gab es nicht. Sie rannte zum Fenster und blickte hinaus. Um das Gebäude führte eine Nebenstraße, doch die lag vier Etagen unter ihr, und eine Feuertreppe gab es nicht.
Ein lautes Hämmern ließ Nina zusammenzucken. Jemand schlug gegen die Tür. Der Schreibtisch ruckte. Weitere Schläge folgten, dann gab die Tür zentimeterweise nach.
Wenn sie den Schreibtisch erneut vorgeschoben hätte, hätte man sie durch die Tür hindurch erschießen können.
Das Buch war schwer wie Blei. Sie hatte sein Gewicht unterschätzt; es wog eher fünfzehn Kilo als zehn, das Glas, das Messing und die Metalleinlagen im Ledereinband machten das Ding zu ihrem ganz persönlichen Anker.
Anderseits war es ausgesprochen massiv …
Nina packte das Buch fester und rammte die eine Ecke gegen das Fenster. Die Scheibe zerbarst. Schnell schlug sie die größten Scherben heraus und blickte sich um. Die Tür war inzwischen so weit geöffnet, dass sie einen Mann mit asiatischen Gesichtszügen erkennen konnte. Als sich ihre Blicke trafen und er sah, wie verängstigt Nina war, bleckte er triumphierend die Zähne.
Als er versuchte, eine Waffe durch den Spalt zu schieben, kletterte Nina
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