Das Grab des Herkules
mussten nur in Ruhe zielen …
Keuchend versuchte Nina, ihre Schritte zu beschleunigen. Vor ihr wurde das Wasserrauschen lauter – die platschenden Schritte hinter ihr ebenso.
Sie wagte es nicht, sich umzusehen. Nach einer weiteren Tunnelbiegung meinte sie, an den Wänden einen schwachen Schimmer Tageslicht auszumachen, das sich mit dem schmierigen Gelb der Glühbirnen vermischte.
Plötzlich hörte sie nur noch die Schritte eines Mannes. Das konnte nur eines bedeuten: Der andere zielte mit seiner Waffe auf sie …
Das trockene Geräusch der schallgedämpften Schüsse wurde von den Tunnelwänden verstärkt, doch weit lauter war der Knall, mit dem die Kugeln sich in die Wände bohrten. Nina brachte sich mit einem Hechtsprung hinter die nächste Tunnelbiegung in Sicherheit. Ziegelsplitter regneten auf sie herab, als sie in dem widerlich schlierigen Wasser landete.
Die Schüsse verstummten. Als Nina sich hochstemmte, knackte etwas im Schlamm unter ihrer Hand – Kakerlaken huschten vor ihr davon.
Der Tunnel stieg wieder an, an seinem Ende lag die Quelle des Tageslichts. Es war eine Öffnung, die in eine größere Kammer mündete, so viel konnte Nina aus der Entfernung bereits sagen.
Ein Ausgang.
Nina rannte los. Über der Öffnung tröpfelte Wasser herab. Sie erreichte das Tunnelende – und wäre beinahe in den offenen Schacht unter ihr gestürzt, wenn sie sich nicht in letzter Sekunde an einem Deckenrohr festgeklammert hätte.
Einen Moment hing sie bewegungslos in der Luft, die eine Hand um das Rohr gekrampft, mit den Zehen am Rand des Tunnels balancierend. Dann verlagerte sie behutsam das Gewicht und lehnte sich zurück, schwankte kurz über dem Abgrund, gewann dann jedoch das Gleichgewicht zurück.
Die große Kammer, in der sie sich befand, hatte einen Durchmesser von etwa dreieinhalb Metern und zwölf Metern Höhe. Offenbar war sie in einem Abwasserschacht gelandet. In unterschiedlicher Höhe und in verschiedenen Winkeln ergossen Rohre ihren Inhalt in den Schacht. Das Tageslicht fiel durch schmutzige Glasziegel von der Decke ein. In diesem Moment ging jemand über die Glasziegel hinweg und verdeckte für einen Moment den Himmel.
Hektisch sah sie sich um. An mehreren Stellen ragten rostige Leitersprossen aus der Wand, und im Halbschatten erblickte sie eine Leiter, die zu einem Kanaldeckel hinaufführte. Und dieser Kanaldeckel musste auf Straßenniveau liegen.
Sie seufzte erleichtert. Und schluckte gleich darauf enttäuscht. Denn trotz der Entfernung war das Vorhängeschloss auf dem Kanaldeckel deutlich zu erkennen.
Sie blickte nach unten. Die Sprossen führten in die Tiefe, doch der Grund des Schachts war nicht zu sehen. Darauf kam es allerdings auch nicht an. Ganz gleich, ob sie nach oben oder nach unten kletterte, die Verfolger würden das Tunnelende erreichen, bevor sie am Ende der Leiter angekommen wäre.
An der anderen Seite des Schachts aber machte sie noch etwas anderes aus: eine Tunnelöffnung – zwar niedriger als die, in der sie stand, doch in der Ferne schimmerte es hell. Ein weiterer Ausgang!
Sie musste ihn erreichen, koste es, was es wolle. Erneut sah Nina sich um. Es führte keine Brücke über den Schacht, da war nur das Metallrohr an der Decke – ausgeschlossen!
Doch sie hatte keine Wahl. Entschlossen legte Nina sich das schwere Buch auf die Schulter, klemmte es so fest wie möglich zwischen Wange und Oberarm und packte mit der Linken das Rohr. Dann streckte sie den rechten Arm aus, atmete tief und angstvoll durch und schwang sich über den Schacht hinaus.
Das Buch wackelte und drohte, nach vorn zu kippen. Sie presste das Gesicht fester gegen den Ledereinband. Wenn das schwere Buch herabfiel, würde sie unweigerlich den Halt verlieren.
Das Rohr mit aller Kraft umklammernd, schob sie die rechte Hand etwa dreißig Zentimeter weit vor. Dann zog sie ihre Linke mit dem Buch ruckartig nach, peinlich darauf bedacht, dass das Buch im Gleichgewicht blieb. Ein weiterer Griff, dann mehrere kleine Rucke zum Aufholen …
Hinter ihr im Gang ertönte das Geräusch platschender Schritte.
Nina keuchte unterdrückt und versuchte, schneller zu werden. Das Buch geriet erneut ins Rutschen. Sie klemmte es zwischen Arm und Kopf ein, drückte es wieder in die Ausgangslage. Ein weiterer Griff, dann das verzweifelte Nachrücken, dann die Rechte wieder vorgesetzt …
Die Hälfte war geschafft. Sie hatte keine Ahnung, wann die Verfolger sie entdecken würden. In dieser Lage bot sie jedenfalls ein
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