Das Grab des Herkules
schwarzen American-Express-Ersatzkarte gezahlt. Offenbar hatte Yuen vergessen, die Kreditkarten seiner Frau sperren zu lassen.
Nina war ihr für den Luxus der ersten Klasse dankbar, denn in dem großen Liegesessel war das Arbeiten erheblich angenehmer als im beengten Economy-Bereich … allerdings war ihr Sophias Anwesenheit immer noch zuwider. Und das besonders jetzt, da sie sich verstohlen in der Kabine umschaute. Chase und Sophia saßen nebeneinander und waren in eine leise, angeregte Unterhaltung vertieft. Den wenigen Gesprächsfetzen nach zu schließen, die Nina aufschnappte, sprachen sie über ihre Vergangenheit. Über die Vergangenheit, von der Chase ihr nie etwas erzählt hatte.
Sie biss die Zähne zusammen, wandte sich so weit ab, wie es möglich war, ohne aufzufallen, und nahm eine erneute Lektüre des altgriechischen Manuskripts in Angriff.
Chase, der am gegenüberliegenden Fenster saß, schaute an Sophia vorbei und bemerkte, dass Nina ihnen verärgert den Rücken zuwandte. Na großartig, dachte er und lehnte sich mit einem Seufzer zurück.
»Ist es wegen Nina?«, fragte Sophia.
»Ja. Ach, verdammt, das ist so eine Scheiße.«
»Noch einmal: Es ist alles meine Schuld. Tut mir wirklich leid.«
Chase atmete langsam aus. »Nein, ist es nicht«, sagte er entschieden. »Wir hatten auch schon Probleme, bevor du aufgetaucht bist, Sophia.«
»Was für Probleme?«
»Die gleichen, wie wir sie hatten«, sagte er.
Sophia sah ihn verwirrt an. »Wie meinst du das?«
»Na komm schon, als ob du dir das nicht vorstellen könntest! Sie hat einen Doktortitel – sie ist Wissenschaftlerin, eine Intelektuelle. Sie kennt sich mit Kunst und Literatur und so was allem aus; das Kreuzworträtsel der New York Times löst sie in zwanzig Minuten. Ich schaffe kaum das Kreuzworträtsel in der Sun ! Noch Fragen?«
»Vielleicht solltest du es mal mit Sudoku versuchen«, riet Sophia ihm scherzhaft.
»Du weißt schon, was ich meine. Sie ist anders als ich. Ganz anders. Wir haben eine unterschiedliche Vorgeschichte, unterschiedliche Arbeitsgebiete. Aber nicht nur das: Wir mögen unterschiedliche Musik, unterschiedliche Filme und komplett unterschiedliche Fernsehserien … wir kommen nicht mal aus demselben Land, Herrgott noch mal!«
»Zumindest das hatten wir gemeinsam«, grinste Sophia.
»Das war’s aber auch schon.« Chase wandte den Blick ab und schaute aufs Meer hinaus. »Mit mir und den Frauen ist es immer das Gleiche in Grün: Ich bin der Retter, der weiße Ritter, der die bösen Kerle erschießt und die Schöne rettet. Wenn sie mich dann aber kennenlernt, richtig kennenlernt, wird ihr klar, dass ich nicht der weiße Ritter bin. Nicht der Superheld, für den sie mich gehalten hat. Ich bin nur ein Kerl aus Yorkshire mit einer Knarre und einer harten Rechten … aber eben nicht viel mehr.«
Sophia schwieg.
Nach einer Weile schaute Chase sie wieder an. »Ja«, fuhr er fort, »das habe ich über dich und mich gedacht. Es hat nur eine Weile gedauert, bis ich dahintergekommen bin. Dein Dad hat es von Anfang an gewusst. Er konnte mich nie leiden. Er war immer der Meinung, dass seine Tochter sich einen nichtsnutzigen Schlägertypen geangelt hat.«
»Das ist unfair«, wandte Sophia ein.
»Ach ja? Wie kommt es dann, dass er während der Zeit unserer Ehe kaum mit dir gesprochen hat? Nicht einmal über seine Geschäfte. Ich meine, Herrgott noch mal, du hast es kommen sehen, aber er wollte dir nicht einmal dann zuhören, als er so krank war. Und warum nicht? Weil er so verdammt sauer auf mich war!«
»Und als er mir dann zugehört hat, war es zu spät«, sagte Sophia leise, wie zu sich selbst.
»Für uns war es da auch bereits zu spät, nicht wahr? Du hast nichts anbrennen lassen, damals. Erst war da dieser schmierige Zuhälter aus der City, und dann …«
Sophia legte ihm die Hand auf den Arm. »Eddie, sag es bitte nicht. Ich weiß, was ich getan habe. Ich war … einfach wütend auf dich, wütend auf mich und auf meinen Vater … Ich habe wild um mich geschlagen. Ich wollte allen anderen wehtun. Und dir konnte ich am einfachsten wehtun. Heute tut mir das aufrichtig leid. Bitte verzeih mir.«
Chase rührte sich nicht, weigerte sich, sie anzusehen. »Bitte beantworte mir eine Frage«, knurrte er. »Weshalb hast du mir vorgeschwindelt, du hättest eine Affäre mit Jason Starkman?«
»Wie meinst du das?«
»Ich weiß, dass ihr nichts miteinander hattet. Er hat es mir selbst gesagt.«
Sophia wirkte überrascht.
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