Das Grab des Herkules
und ein einflussreicher Geschäftsmann mit Verbindungen zu beiden Flügeln des House of Commons. Mit der Entführung seines einzigen Kindes konnte und wollte er sich einfach nicht abfinden.«
»Und da hat dich die Regierung von der SAS rausholen lassen?«
»Ja. Die Kambodschaner wurden natürlich nervös, als ihnen klar wurde, wer da unter den Geiseln war. Sie wollten verhandeln, doch damit war es vorbei, als der Goldene Weg eine der Geiseln tötete. Dann hat man heimlich die SAS losgeschickt. Ihr Auftrag lautete schlicht und einfach: Die Geiseln ausfindig machen und befreien … und alle Entführer töten.«
Nina unterdrückte einen Schauder. Sie wusste genug über Chases Militärkarriere, um sich denken zu können, dass er auch an geheimen Missionen beteiligt gewesen war, außerdem wusste sie, dass er imstande und bereit war zu töten, um ihm anvertraute Menschenleben zu retten. Aber von einem so unverblümten Befehl zu erfahren war für sie neu und alles andere als angenehm. »Da du und Eddie beide hier sitzt, ist der Einsatz wohl erfolgreich verlaufen!«, sagte sie mit aufgesetzter Unbekümmertheit.
»Das ja. Aber …« Sophia blickte erneut zu Chase hinüber. »Der Goldene Weg hatte in der Nähe Verstärkung aus seinen Reihen stationiert, und als die SAS sich mit den Geiseln zurückzog, wurden Eddie und ich von der Gruppe abgeschnitten. Wir mussten uns allein durch den Dschungel schlagen. Es dauerte drei volle Tage, bis wir endlich in Sicherheit waren, und ständig waren die Terroristen hinter uns her. Eddie hat mich die ganze Zeit beschützt.« Ihr Gesichtsausdruck wurde wehmütig, ihr Blick ging in die Ferne. »Er war ein Held«, sagte sie leise. »Er war mein Held. Und als wir nach England zurückkamen, war ich bis über beide Ohren in ihn verliebt. Innerhalb eines Monats haben wir geheiratet.«
»Wow.« Nina schwirrte der Kopf; Chase hatte nicht einmal andeutungsweise über seine bewegte Vergangenheit gesprochen. Unwillkürlich verspürte sie einen Anflug von Eifersucht. Sie und Chase hatten ein ähnlich gefährliches Abenteuer bestanden und waren ebenfalls ein Paar geworden, doch von Heirat war nie die Rede gewesen. »Was ist dann passiert?«, fragte sie mit rauer Stimme. »Weshalb hat es nicht funktioniert mit euch?«
»Zum einen lag es an meinem Vater.« Sophias Miene verdüsterte sich. »Er war erbost darüber, dass ich heiraten wollte, ohne vorher mit ihm gesprochen zu haben. Zumal ich die Tochter eines Lords war – so was zählt heutzutage immer noch, weißt du!« Sie lachte bitter. »Er war außer sich. Und er hat Eddie verachtet . Dass er mir das Leben gerettet hatte, zählte nicht für ihn – er sah in Eddie nur einen Niemand aus der Unterschicht, einen Bürgerlichen . Mein Vater wollte nichts, aber auch gar nichts mit ihm zu tun haben. Und da ich mit Eddie verheiratet war und ihn liebte, hat er auch mich weitgehend geschnitten.«
Die Kritik an Chase erboste Nina, obwohl sie aus zweiter Hand kam. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber dein Dad scheint mir ein richtiger Arsch zu sein«, sagte sie.
Sophia verkniff sich eine barsche Erwiderung, musste sich aber erst einen Moment fassen, bevor sie mit ruhiger Stimme weitersprach. »Mein Vater hat Fehler gemacht; in manchen Dingen hat er sich auch geirrt. Aber er war nun mal mein Vater. Mittlerweile ist er nicht mehr unter uns. Ich hatte leider keine Gelegenheit mehr, unsere Differenzen vor seinem Tod zu klären und mich mit ihm auszusprechen. Du hast ihn nicht gekannt, deshalb wäre es mir lieber, du würdest ihn nicht kritisieren. Ich nehme an, du kannst meine Haltung nachvollziehen.«
»Es tut mir leid«, sagte Nina schuldbewusst. Sophia hatte recht – bei einem Angriff auf ihre eigenen Eltern hätte sie wahrscheinlich ganz ähnlich reagiert.
Sophia schloss die Augen und seufzte. »Schon gut. Mein Vater ist vor drei Jahren gestorben. Ich empfinde noch immer Groll gegen ihn, dagegen komme ich nicht an.«
Als sie die Augen wieder öffnete, wirkte sie entschlossen. »Wie auch immer: Die negative Haltung meines Vaters Eddie gegenüber war sicherlich eine Belastung für unsere Ehe. Hinzu kam, dass ich Eddie, nachdem der erste Liebesrausch verflogen war, dass ich Eddie … als Eddie gesehen habe.«
»Wie meinst du das?«, fragte Nina, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
Und Sophia wusste, dass sie es wusste, das las sie in ihren braunen Augen. »Ich habe meinen Helden geheiratet«, sagte Sophia leise. »Aber schon nach kurzer
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