Das Grab des Herkules
Bezugspunkt finden wir das Grab nicht!«
»Aber ein Gutes hat das Ganze dennoch, nicht wahr?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Der Dieb der anderen Seiten kann das Grab ebenfalls nicht finden!«
»Das stimmt.« Nina blickte wieder auf die Landkarte und ballte vor Wut und Enttäuschung die Fäuste. Sie war so dicht am Ziel und kam trotzdem nicht weiter.
»Ich werde alles fotografieren und sämtliche Details dokumentieren«, sagte sie matt.
»Gut! Dann kann ich ja veranlassen, dass das Manuskript – oder das, was davon übrig geblieben ist – zurück in das Archiv meines Ordens gebracht wird«, sagte Popadopoulos hoffnungsvoll.
Nina überlegte einen Moment. »Noch nicht«, entschied sie dann, ohne sich von dem finsteren Blick des Historikers beirren zu lassen. »Ich glaube, das ist noch nicht alles. Im Text sind noch weitere Sätze aufgeführt, die als Hinweise aufgefasst werden können, so wie bei dem Satz, der sich auf die Landkarte bezieht. Ich glaube, wir brauchen den Originaltext, um die Spur weiterzuverfolgen.«
»Wie Sie meinen, Dr. Wilde«, brummte Popadopoulos verstimmt, »wie Sie meinen. Die Pergamente sind bereits so stark beschädigt, dass es schwierig werden dürfte, sie zu retten … Aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, wie Sie das Grab finden wollen, selbst wenn Sie weitere Hinweise entschlüsseln sollten. Es fehlen immerhin mehrere Seiten.«
»Wir müssen sie uns eben wiederbeschaffen.« Nina biss entschlossen die Zähne zusammen. »Ich glaube nämlich zu wissen, wer sie hat. Wir statten ihm einen kleinen Besuch ab und holen uns die Seiten zurück.«
»Vorausgesetzt«, sagte Popadopoulos warnend, »er kommt vorher nicht zu Ihnen .«
8
K omm rein«, sagte Chase, öffnete die Apartmenttür und geleitete Sophia in die Wohnung. Als er die Smokingjacke an die Garderobe hängte, rief er in den Flur hinein: »Hallo? Nina? Bist du da?«
Keine Antwort.
»Sie ist bestimmt im Büro«, murmelte er, führte Sophia ins Wohnzimmer, bat sie mit einer Handbewegung, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und trat in die Kochnische. »Eine Tasse Tee?«
»Danke, gern.« Sophia trug die unscheinbaren Freizeitklamotten, die Chase ihr im Flughafen Pudong gekauft hatte. Sie setzte sich auf den Rand der Sitzfläche und sah sich um. »Wie hast du Nina kennengelernt?«, fragte sie unvermittelt.
Chase stellte den Kessel aufs Kochfeld. »Ich war ihr Bodyguard.«
Sophia zog eine Augenbraue in die Höhe. »Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«
Er überging ihre Bemerkung. »Als der Job beendet war, wurden wir ein Paar. Das war vor anderthalb Jahren.«
»Und wie läuft es so?« Auch diese Frage ignorierte Chase.
Sophia nickte wissend. »Ich verstehe.«
»Da gibt es nichts zu verstehen«, sagte er abwehrend.
»Hmm.« Sie blickte sich im Zimmer um. »Hier wohnst du also.«
»Ja. Schon seit fünf, sechs Monaten.«
»Ich muss sagen, hier sieht es eher aus wie bei Dr. Frasier Crane, dem Psychologen aus der Fernsehserie. Na ja, abgesehen davon .« Sie musterte angewidert den Castro-Zigarrenhalter auf der Theke. »An diese Abscheulichkeit erinnere ich mich noch allzu gut.«
»Na ja, Innendekoration war noch nie meine Stärke. Ein Sofa und ein ordentlicher Fernseher, mehr brauche ich nicht.«
»Ja, ich weiß«, sagte Sophia mit einem Anflug von Schärfe in der Stimme. »Ich nehme an, Nina hatte einen anderen Job, bevor sie die Stelle bei der IBAK angenommen hat, oder?«
»Ja, klar«, meinte Chase. »Sie war auf dem gleichen Arbeitsgebiet tätig, der Archäologie, aber an einer Uni und nicht bei den UN. Weshalb fragst du?«
Sophia zuckte unbestimmt mit den Schultern. »Ach, nur so.«
»Nein – ich hör’s doch an deinem Tonfall, dass du nicht ohne Grund gefragt hast. Also?«
Sophia wirkte leicht verärgert. »Na gut. Es ist nur diese Wohnung, die Ausstattung, all die kleinen Details …« Sie deutete auf den Messerblock mit Henckels-Messern auf der Theke. »Das kommt mir alles irgendwie so parvenühaft vor, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Du meinst neureich?« Chases Stirnrunzeln vertiefte sich. »Also, es tut mir leid, wenn die Wohnung Ihren Ansprüchen nicht genügt, Eure Ladyschaft.«
Sophia sprang auf und hob entschuldigend die Hände. »Eddie, ich hab’s nicht so gemeint …«
»Vergiss es.« Sie musterten einander schweigend. Dann begann der Kessel zu pfeifen. Chase nahm ihn vom Kochfeld.
Sophia lächelte unsicher. »Amerikaner. Die haben selbst für die trivialsten Arbeiten irgendein
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