Das Grab des Herkules
Zeit wurde mir klar, dass sich hinter dem Held … ein ganz gewöhnlicher Mann verbarg. Das hat mir das Herz zerrissen. Und als mir das klar wurde, da …«
»… war es vorbei«, beendete Nina den Satz.
»Ja.« Sophia wandte den Blick ab. »Entschuldige mich.« Sie stand auf und ging zu ihrem Platz zurück.
Nina blieb sitzen. Sie wollte zu Chase hinüberschauen, doch sie traute sich nicht. Als könnte sein Anblick bei ihr die gleiche Erkenntnis auslösen wie bei Sophia.
9
Botswana
H allo!«, sagte die hochgewachsene Afrikanerin, die Arme abweisend vor der Brust verschränkt. »Wenn das nicht Edward Chase ist.«
»Tamara Defendé«, erwiderte Chase, als sie sich ihr näherten.
Eine Weile musterten die beiden einander argwöhnisch, dann schloss sie ihn in die Arme.
»Eddie!«, rief sie begeistert, drückte ihn an sich und zerknautschte seine Lederjacke. »Schön, dich zu sehen!«
»Es ist schon eine ganze Weile her«, schnaufte Chase und versuchte sich von ihr zu befreien. »Okay, TD, du kannst mich jetzt loslassen. Ich kriege keine Luft mehr.«
Nina und Sophia sahen einander an. »War das bei dir auch so?«, flüsterte Nina.
Sophia nickte. »Geheimnisvolle Frauen in aller Welt, meinst du? Hmm, ja.«
»TD«, übernahm Chase die Vorstellung, »das ist Dr. Nina Wilde« – Nina entging nicht, dass er kein Wort über ihre Beziehung verlor –, »und das ist Sophia Blackwood. Nina, Sophia, das ist TD, eine gute Freundin von mir.«
TDs neugieriger Miene war zu entnehmen, dass sie über Sophias Beziehung zu Chase Bescheid wusste, doch sie enthielt sich einer Bemerkung. Stattdessen schüttelte sie ihr mit festem Griff die Hand. »Schön, euch beide kennenzulernen.«
»Woher kennst du Eddie?«, fragte Nina.
Chase warf ihr einen warnenden Blick zu – ein weiteres militärisches Geheimnis, vermutete Nina –, doch TD grinste breit, bevor sie antwortete.
»Ich bin Pilotin und besitze ein eigenes Flugzeug«, sagte sie und lächelte Chase an, der anscheinend unter nervösen Gesichtszuckungen litt. »Eddie und seine Kumpels haben mich irgendwann einmal gebeten, sie an verschiedene Einsatzorte in ganz Afrika zu fliegen. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen, ihr wisst ja, wie das bei Eddie so ist!«
»In letzter Zeit nicht mehr«, warf Chase ein. »Meistens hocke ich hinter dem Schreibtisch.«
»Das ist aber schade!« TD hatte einen melodischen westafrikanischen Akzent, mit Anklängen ans Französische und Niederländische. »Du wirst auf deine alten Tage doch nicht etwa einrosten!«
»Ich geb mir Mühe«, sagte Chase, der die Anspielung auf seine »alten Tage« ganz und gar nicht lustig fand. »Hast du alles, worum ich dich gebeten habe?«
TD nickte. »Im Flieger. Kommt mit.« Sie deutete mit dem Daumen auf einen zerbeulten Landrover ohne Verdeck, der in der Nähe abgestellt war.
Es war warm, um die fünfundzwanzig Grad, jedoch nicht schwül.
»Dein Paket ist übrigens angekommen. Du hast mich schwer beeindruckt – ich wusste gar nicht, dass man Waffen per Luftfracht verschicken kann!«
»Bisweilen hat es klare Vorteile, für die UN zu arbeiten. Zum Beispiel, wenn man von der Zollkontrolle befreit ist und Bitte-nicht-röntgen-Aufkleber verwendet.«
Sie gingen hintereinander zum Landrover hinüber, Nina bildete den Abschluss der kleinen Gruppe. Im Gehen musterte sie TD von oben bis unten. Dies war nicht die erste von Chases hilfsbereiten »Freundinnen« in aller Welt, die sie kennenlernte. Obwohl nichts darauf hindeutete, dass die Beziehungen der beiden über das rein Freundschaftliche hinausgegangen waren, fragte sie sich unwillkürlich, wie Chase es anstellte, dass man ihm eine solche Loyalität entgegenbrachte. Zumal er einen bisweilen rasend machen konnte.
Vielleicht ist es ja das, dachte sie. Er ist nie so lange geblieben, dass er die Frauen gegen sich aufgebracht hätte.
TD ragte aus seinen Bekanntschaften sicherlich hervor. Sie war über eins achtzig groß, und ihre Größe wurde durch die Cowboystiefel mit den klobigen Absätzen noch betont. Sie war auffällig gekleidet; ihre Shorts waren nur eine Handbreit von Hotpants entfernt, und das knapp über dem Nabel abgeschnittene T-Shirt entblößte ihre straffe Taille. Ihr langes Haar hatte sie zu Zöpfen geflochten, die ihr durch den Verschluss einer roten Baseballkappe hindurch auf den Rücken fielen. Nina hatte keinen Zweifel, dass TD bei Männern gut ankam – und dass sie mit der Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wurde, hervorragend
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