Das Grab des Herkules
sie war zu schwach.
Unter ihr rollte das schmutzige Förderband vorbei.
Der Mann drückte ihr den Arm noch weiter nach oben. Die überdehnten Sehnen schmerzten so sehr, dass sie aufschrie.
Die Maschine kam Chase immer näher, die untersten Bohrköpfe schleiften über den Boden und wirbelten Dreck und Steine auf. Er spähte um die Ecke der Weiterverarbeitungsanlage herum, zuckte aber gleich wieder zurück, als eine Kugel in die Verkleidung einschlug. Mit klopfendem Herzen feuerte Chase blind drauflos, in der verzweifelten Hoffnung, ein wichtiges Maschinenteil zu treffen. Die Kugel prallte jedoch funkensprühend von der Verkleidung ab. Er fluchte und dachte fieberhaft nach. Ihm blieben nur Sekunden für die Entscheidung, ob er lieber erschossen oder zerquetscht werden wollte …
Bunte Sterne tanzten vor Ninas Augen, während der Mann ihr den Arm zu brechen versuchte. Dennoch sah sie etwas unter dem Bodengitter vorbeigleiten.
Sie griff danach, ohne zu wissen, was es war, doch das war ihre letzte Chance. Sie riss den Arm nach oben …
Mit dem übelkeiterregenden Geräusch von Metall, das auf Knochen prallt, traf der Feuerlöscher ihren Peiniger an der Schläfe. Sofort spritzte Blut aus der Wunde, und der Mann kippte mit seinem vollen Körpergewicht zur Seite. Der Stoß war so heftig, dass er vom Geländer abprallte und von der offenen Seite der Plattform stürzte. Direkt in das mahlende Maul des Häckslers. Der Mann brüllte vor Angst, doch es war zu spät – für ihn gab es keine Rettung mehr: Es ertönte ein glucksendes Knirschen – der menschliche Körper war wesentlich nachgiebiger als Gestein –, dann arbeitete die Anlage weiter, als sei nichts geschehen. Nur die Walzen und Zähne waren jetzt blutig, und auch der graue Schotter, der auf die Abraumhalde rieselte, färbte sich rot.
Nina hatte keine Zeit, sich Gedanken über den grauenhaften Anblick zu machen. Sie setzte sich auf und suchte Eddie und Sophia in dem Getümmel. Und was sie sah, war nicht eben beruhigend: Chase saß immer noch in der Falle, der Schütze hatte ihn festgenagelt, und das Bohrgerät kam immer näher.
»Dr. Wilde!«
Die verzerrte Stimme dröhnte aus Lautsprechern und ließ Nina zusammenzucken. Sie erkannte den Sprecher nicht – doch dann sah sie, dass der auf dem Laufgang stehende Fang in einen Telefonhörer sprach. Er zielte mit seiner Waffe auf die nur wenige Schritte entfernte Sophia.
»Dr. Wilde!«, wiederholte er. »Ich weiß, dass Sie den Rest der Landkarte haben! Geben Sie sie mir, und zwar sofort. Sonst erschieße ich Lady Sophia!«
»Kommt gar nicht in Frage!«, schrie Nina empört zurück.
Sophia wirkte verletzt.
»Sie wollen also tatsächlich die Frau von Ihrem Boss erschießen?«, rief Nina spöttisch. »Ich glaube, das könnte sich ziemlich negativ auf Ihre nächste Gehaltsabrechnung auswirken!«
Selbst aus dieser Entfernung sah Nina, dass sie ins Schwarze getroffen hatte – er war für einen Moment wie erstarrt. Dann aber veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und er grinste boshaft.
»Geben Sie mir die Landkarte … sonst ist Chase ein toter Mann!«, forderte er Nina noch einmal auf. Und so, wie er das sagte, klang es nicht nach einer leeren Drohung.
Angstvoll blickte Nina zum Bohrgerät. Es war langsamer geworden … rollte aber immer noch auf Chase zu.
»Geben Sie mir die Karte!«, rief Fang. »Sonst wird er sterben! Geben Sie mir die Karte! «
»Nina, tu’s nicht!«, rief Chase. Er stand mit dem Rücken zur Weiterverarbeitungsanlage, und der Bohrer war nur noch wenige Meter entfernt. Dennoch hob er die Waffe und wappnete sich für den letzten Feuerwechsel, bei dem es um Leben und Tod ging. »Gib sie ihm nicht!«
Nina riss den Rucksack von ihrem Rücken und hielt ihn über den Häcksler. »Geben Sie Eddie frei, sonst lasse ich den Rucksack fallen!«, rief sie. »Dann bekommt niemand die Landkarte!«
Fang rang einen Moment lang mit sich. »Geben Sie mir die Karte, dann lasse ich Sie alle am Leben!«, sagte er schließlich. »Andernfalls werden Sie alle sterben ! Es ist Ihre Entscheidung!«
Sich mit einer Hand am Geländer festhaltend, reckte Nina den anderen Arm so weit wie möglich über den Häcksler. »Ich lass ihn fallen, das ist mein voller Ernst! Geben Sie Eddie frei!«, rief sie mit dem Mut der Verzweiflung.
»Wenn Sie den Rucksack fallen lassen, ist das Grab des Herkules auf ewig verloren. Es wird niemals gefunden werden! Wollen Sie das?«, fragte Fang listig.
»Nina!«, rief Chase
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