Das Grab des Herkules
es den Rand des Wasserfalls erreichte.
Der nächste Wellenstoß kam vollkommen unerwartet und war so heftig, dass Nina beinahe vom Sitz gefallen wäre. Das Schwert löste sich aus Fangs lebloser Hand und fiel klirrend aufs Deck. Nina schauderte und klammerte sich verzweifelt an die Steuerhebel. Chase kroch unter Schmerzen über die Sitze darauf zu und sah sich um. Da endlich reagierte der Sumpfgleiter, geschoben vom Propeller.
Nina blickte zu dem Speedboot hinüber – der Fahrer zielte immer noch mit der Pistole auf sie. In letzter Sekunde duckte sie sich. Atemlos spürte sie die sengende Hitze der vorbeipfeifenden Kugel an ihrem Schädel.
Chase hörte den Schuss, sah sich kurz nach der neuen Bedrohung um und kroch dann unbeirrt weiter.
Das Speedboot schloss jetzt wieder auf, wild im aufgewühlten Wasser schaukelnd. Die fünfzig Meter entfernte Abbruchkante näherte sich rasch, und das Tosen des Wasserfalls schwoll hörbar an.
Der gegnerische Pilot schoss erneut. Die Kugel prallte mit einem lauten Klong auf den Antrieb, woraufhin der Motor zu stottern begann. Ein feiner Ölnebel spritzte aus einem Riss im Gehäuse, der Auspuff spuckte Rauch, und der Propeller verteilte ihn weiträumig als dunkle Wolke.
Nina duckte sich, als der Mann erneut zielte. Chase reagierte blitzschnell, ergriff das Schwert und schleuderte es mit aller Kraft in Richtung Speedboot.
Er traf den Fahrer an der Schulter. Befriedigt stellte Chase fest, dass das Schwert so tief saß, dass es wie ein übergroßer Pfeil in der Schulter ihres Verfolgers stecken blieb. Der Mann heulte auf, ließ die Pistole fallen und riss die Klinge hektisch aus der Wunde.
Diesen Moment nutzte Nina und trieb sein Boot mit ihrem Sumpfgleiter ab. Dann schwenkte sie das Gleitboot geschickt herum. Der Motor stotterte – brachte aber immer noch genug Leistung, um das Boot im schäumenden Wasser herumzudrücken. Zehn Meter waren es bis zur Kante, dann nur noch fünf …
Das Boot glitt durch den Gischt am Rand des Wasserfalls und fuhr einen Moment lang parallel zur Kante, dann endlich schwenkte es endgültig herum und hielt aufs Ufer zu.
Das Speedboot hatte weniger Glück. Das Boot schoss über den Rand und prallte auf die im schäumenden Wasser verborgenen Felsen. Es zerschellte in einer Wolke aus Holzsplittern, Fiberglas und Stahltrümmern.
Nina kämpfte unterdessen beherzt weiter mit der Steuerung. Der Motor stand inzwischen in Flammen, und dicker schwarzer Qualm quoll heraus. Als der Rumpf über Felsen schrammte und das Wasser immer flacher wurde, atmete Nina auf. Das Gleitboot rutschte aufs morastige Ufer, dann stieß es gegen eine steilere grasbewachsene Böschung und kam ruckartig zum Stillstand.
Unmittelbar vor dem Aufprall sprang Nina vom Fahrersitz und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Der Schwung, mit dem sie auftraf, war so groß, dass sie vom Boden abprallte und dann im hohen, verdorrten Gras zu liegen kam.
Benommen setzte sie sich auf. Der Motor des Sumpfgleiters war verstummt, eine ölige schwarze Rauchsäule stieg davon auf.
Erleichtert atmete Nina auf, dann erstarrte sie vor Schreck. Wo steckte Chase?
»Eddie!«, rief sie und rutschte mit pochendem Knöchel die Böschung hinunter. Auf einer Sitzbank lag Fangs enthaupteter und zerschmetterter Leichnam, doch Chase war nirgendwo zu sehen.
Panik überfiel Nina. Sie wollte schon schreien, als sie den vertrauten Yorkshire-Akzent vernahm.
»Hier unten«, ertönte es keuchend. Hinter dem Boot kam Chases Hand zum Vorschein und winkte Nina kraftlos zu. Stöhnend rappelte Chase sich auf, setzte sich und zeigte auf den Toten. »Ich hab Shorty als Polster benutzt. Ist zwar nicht unbedingt ein Airbag, der Gute, aber irgendwie hat es funktioniert.«
Nina trat um das Boot herum, um ihm zu helfen. »Bist du schlimm verletzt?«, fragte sie besorgt.
»Also, ich hab eine Stichverletzung am Arm, und dazu hat mir der Typ noch das Bein aufgeschlitzt. Irgendwie fühle ich mich wie ein halb zerlegter Truthahn – aber urteile selbst.«
Nina kniete sich hin und untersuchte die Wadenverletzung. Seine Jeans war blutgetränkt. »O Gott. Das muss genäht werden, Eddie.«
»Wenn du Nadel und Faden dabeihast, nur zu.«
»Ich habe nichts weiter als eine Kanone mit leerem Magazin. Was würde Daniel Düsentrieb wohl daraus machen?«
»Ich müsste schon den Kopf so lange dagegenschlagen, bis der Schmerz vergeht.« Chase versuchte sich aufzurichten, schnitt aber eine Grimasse, als er das Bein bewegte.
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