Das Grab des Salomon
Peter. Habe ich dich geweckt?«
»Warum rufst du so spät noch an?«
Peter konnte sich nicht daran erinnern, dass sein Onkel sich in all den Jahren je mit einem schlichten »Hallo« gemeldet hatte. Er ließ es stets so erscheinen, als käme jemandes Anruf gerade höchst ungelegen. Peter wechselte das Mobiltelefon vom linken zum rechten Ohr, als wollte er Josh Everson aus der Unterhaltung ausschließen. Der Junge saß auf dem Beifahrersitz und starrte mit leerem Blick durch die Windschutzscheibe. Peter empfand es als Erleichterung, mit seinem Onkel zu sprechen und sich keine Gedanken darüber machen zu müssen, seine Stimme zu kontrollieren. Natürlich hatte er erwartet, dass es ein unangenehmes Gespräch würde. So war es immer.
»Die Dinge kommen ins Rollen, Onkel. Und wenn ich mich nicht irre, sogar ziemlich schnell.«
Roger Quinn seufzte über das Telefon. »Du irrst dich oft, Peter. Von welchem Ding reden wir jetzt genau?«
Peter spürte das vertraute Zucken von Furcht und Schuld im Bauch. Er fühlte sich jedes Mal so, wenn sein Onkel mit ihm sprach – Roger Quinn wirkte dabei stets enttäuscht und übellaunig. Er war der beste Schüler des Mannes gewesen, hatte schnell und eifrig gelernt, und doch hatte er noch nie ein echtes Kompliment erhalten. Vor dem Schlamassel in Chicago hatte Peter gedacht, die Häme seines Onkel Rogers ihm gegenüber könnte nicht schlimmer werden. Damit hatte er sich tatsächlich geirrt.
Ob es dem Mann gefiel oder nicht, die Dinge würden sich ändern. Vorerst jedoch war Peter froh, dass er den Mord an Hayden für sich behalten hatte. Auch bezüglich des alten Priesters hatte er sich geirrt, und sein ohnehin wackeliger Stand innerhalb der Organisation wäre vollends zerstört, wenn herauskäme, was geschehen war.
»Von der Bundeslade, Onkel. Ich habe das starke Gefühl, dass man heute Nacht versuchen wird, sie wegzuschaffen.«
»Du weißt doch noch nicht mal, ob sie überhaupt dort ist.«
»Das ist sie. Davon bin ich überzeugt.« Er verwendete die Schulter, um sich das Telefon gegen das Ohr zu drücken, während er scharf nach links auf die Lexington Street bog. »Und ja, mir ist bewusst, dass die Grabstätte eine List sein könnte. Vielleicht enthält sie nur eine Nachricht, die sich über unsere Dummheit lustig macht. Aber ob dem so ist oder nicht, der neue Priester und Tarretti halten gerade eine heimliche Besprechung im Haus des Friedhofswärters ab. Ich habe dir ja heute Nachmittag erzählt, wie Dinneck auf das Gemälde reagiert hat. Irgendetwas liegt in der Luft. Ich fahre gerade zum alten Friedhof, um das Grab im Auge zu behalten.«
»Du solltest lieber den Friedhofswärter im Auge behalten.«
»Tun wir, Onkel. Er wird keinen Schritt tun, ohne dass ich es erfahre.«
Am Telefon herrschte längeres Schweigen. Peter fuhr indes am Greenwood-Friedhof vorbei und spähte auf den dunklen Parkplatz. Im vorüberziehenden Licht seiner Scheinwerfer sah er kein Auto. Gut. Er verlangsamte und hielt nach einem unauffälligen Platz zum Parken Ausschau.
»Na schön«, meinte Roger schließlich. Der gelangweilte Tonfall von vor wenigen Momenten war verschwunden. Was das einzige Anzeichen von Ermutigung bleiben würde, wie Peter wusste. »Wir haben einen Mann in New Hampshire. Ich rufe ihm an und sage ihm, er soll sich auf den Weg runter zu dir machen. Du behältst ihn bei dir, solange du ihn brauchst. Das ist alles, was ich unternehme, bis du mich mit weiteren Neuigkeiten anrufst. Mehr Reisespesen setze ich nicht aufs Spiel, bis du etwas Konkreteres vorzuweisen hast.«
Vor Peter reihten sich entlang der Straße drei dunkle Häuser aneinander. Er schaltete die Scheinwerfer ab und ließ den Wagen im Leerlauf an den Rand des ersten Grundstücks rollen, dicht genug an die Auffahrt, um den Eindruck zu erwecken, er gehörte dorthin.
»Danke, Onkel. Mit ein bisschen Glück kann ich dich noch später heute Nacht anrufen.«
»Davon gehe ich mal nicht aus. Und Peter?«
Er stellte den Motor ab und beobachtete die Vorhänge an den Fenstern des Hauses auf Anzeichen dafür, dass jemand herausschaute. »Ja, Onkel?«
»Bitte bring diesmal niemanden um.«
Dafür ist es zu spät. »Natürlich nicht.« Damit legte er auf und wandte sich Josh zu. »Josh Everson.«
Schläfrig sah Josh ihn an. »Ja?«
»Wir machen einen Spaziergang. Bitte folgen Sie mir und lassen Sie die Tür offen, wenn Sie aussteigen.« Er streckte die Hand zum Armaturenbrett vor und deaktivierte die Innenbeleuchtung. Aus dem
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