Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
Marilyn Keiser, dann wird dieses Interesse in die Startosphäre rasen.«
Da ich das Gefühl hatte, dass eine Richtigstellung nicht gut ankommen würde, hielt ich lieber den Mund.
»Vielleicht waren diese Phantomfingerglieder ja nie vorhanden. Vielleicht hat der Mörder ihr den Finger abgehackt.«
»Warum würde ich dann eine komplette Anzahl von sechsundfünfzig notieren?«
»Nachlässigkeit?«
»Ich werde den fünften rechten Mittelhandknochen auf Schnittspuren untersuchen.« Ich glaubte nicht, dass ich welche finden würde. Die wären mir schon beim Sortieren aufgefallen.
Englischsprecher fluchen, indem sie sich auf Körperfunktionen oder -teile beziehen. Ich muss wohl nicht genauer darauf eingehen. Frankofone Kanadier beziehen sich eher auf liturgische Gegenstände. Estie: Hostie. Câlice: Kelch. Tàbernac und Tabernouche: Tabernakel.
»Estie. « Huber blies Luft durch spitze Lippen. »Was ist mit Verletzungen?«
»Daran arbeite ich noch.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
»Genau genommen könnten es vier sein«, sagte ich.
»Vier was?« Hubert schaute mich an, als hätte ich Klebstoff geschnüffelt.
»Ältere Frauen, die in der Gegend um Montreal ermordet wurden. Falls Marilyn Keiser ermordet wurde. Und das wissen wir natürlich nicht -«
»Wer ist die vierte?«
»Rose Jurmain.«
»Wer?«
»Im letzten März wurde in der Nähe von Sainte-Marguerite ein weibliches Skelett gefunden. Es zeigte sich, dass es einer Frau gehörte, die seit zweieinhalb Jahren vermisst wurde.«
Hubert schoss nach vorne. Speckrollen, groß genug, um Eichhörnchen darin zu versteckten, schwabbelten über seinen Oberkörper.
»Natürlich.« Er stach mit dem Finger in die Luft. »Jurmain war eine wohlhabende Amerikanerin. Ihr Vater hatte Verbindungen. Wie konnte ich das vergessen? Sie haben doch mit Ryan erst vor Kurzem die Knochen nach Chicago transportiert. Aber diese Frau war nicht so alt.«
»Neunundfünfzig.« Ich erklärte Roses vorzeitig gealtertes Aussehen.
»Tàbernac. «
Huberts Gesicht hatte jetzt die Farbe seines Hemds. Ich beschloss, mein Problem mit Edward Allen im Augenblick lieber nicht ins Gespräch zu bringen.
»Ich könnte dem Skelett, das jetzt unten liegt, Knochenproben entnehmen. Und eine DNS-Analyse anstellen lassen.« Noch bevor ich es ganz ausgesprochen hatte, wusste ich, dass das dumm war.
»Christelle Villejoin hatte nur eine Verwandte, die inzwischen tote Schwester. Sie sagen mir, dass sie nie eine Operation hatte, also werden wir kaum das Glück haben, in einem Krankenhaus aufbewahrte Gallensteine oder Gewebeproben zu finden. Es ist jetzt zweieinhalb Jahre her. Das Haus wurde mit Sicherheit inzwischen geputzt und ausgeräumt; Zahnbürsten, Papiertaschentücher oder Kaugummis dürften wir nicht mehr finden. Womit sollten wir diese DNS dann vergleichen?«
»Ich dachte, es existiert noch Familie in Beauce. Wurde schon versucht, diese Verwandten aufzuspüren?«
Hubert machte sich nicht die Mühe zu antworten. Dann fiel es mir wieder ein. Ryan hatte gesagt, das sei bereits geschehen. Aber auch gründlich? Ich nahm mir vor, ihn zu bitten, noch einmal zu recherchieren.
»Marilyn Keiser hatte irgendwo im Westen Nachkommen«, sagte ich. »SO könnten wir zumindest eindeutig feststellen, dass das Skelett nicht das Ihre ist.«
»Und wenn es das nicht ist, sitzen wir immer noch in der Tinte.«
»Wir könnten Anne-Isabelle exhumieren.«
»Verbrannt.« Hubert packte eine ganze Enzyklopädie der Verachtung in dieses kleine Wort.
»Ich fahre sehr gerne noch einmal nach Oka hinaus.« Jetzt wedelte die Hand in meine Richtung.
Das kleine Büro füllte sich mit angespanntem Schweigen. Was sollte es? Ich stand ja bereits auf Huberts Abschussliste. »Das ist jetzt vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt dafür, aber ich würde gern über ein Problem sprechen, das im Zusammenhang mit dem Jurmain-Fall entstanden ist.«
Huberts Starren war mehr als eisig und auf die Tür gerichtet.
Ich ignorierte den Blick und fing an, mein Dilemma in Bezug auf Edward Allens Informanten zu erläutern.
Genau in diesem Augenblick klingelte das Telefon.
Hubert meldete sich, hörte zu, und der finstere Blick wich nie aus seinem Gesicht. Dann legte er die Hand auf das Mundstück und sagte zu mir:
»I will Ihren Verletzungsbericht so schnell wie möglich.« Ein nicht sehr subtiler Rauswurf.
18
Den Rest dieses Tages widmete ich der Oka-Frau.
Vier Stunden mit ihren Knochen enthüllten keine weiteren Schändungen.
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