Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
Rettungsgrabungen.
Obwohl viele Archäologen des privatwirtschaftlichen Sektors gute Erkunder und Ausgräber sind, betrachtet die akademische Gemeinde sie insgesamt als zweitklassig. Sie arbeiten auf der Basis kurzfristiger Verträge und publizieren kaum. Die meisten werden engagiert von Firmen, denen es lieber ist, wenn nichts gefunden wird, was ihre Projekte verzögern könnte. Ob nun berechtigt oder unberechtigt, in den Universitäten sieht man KRM-Arbeit als Gelegenheit zur Korruption.
»Wo hat Raines seine Ausbildung erhalten?«
»Keine Ahnung.«
»Wie passt er in Briels Mulder-und-Scully-Szenario?«
»Briel und Raines gründen diese Firma, Body Find. Corps découvert. Wenn alles rund läuft, wollen sie den Ermittlungsbehörden quasi einen forensischen Supermarkt anbieten, der alle Aspekte abdeckt. Archäologie. Anthropologie, Pathologie. Psychologie, Entomologie, Botanik. Geophysik, Leichenhunde, Remote Sensing. Sie finden die Leiche, identifizieren sie, bestimmen die Leichenliegezeit und die Todesursache. Spezielle Institute braucht man dann nur noch für so komplexe Untersuchungen wie Massenspektrometrie oder DNS-Sequenzierung. Sie wollen sogar Experten für Minensicherheit im Bergbau, Kartografie und Ingress/Egress-Methoden anbieten. Was Sie auch brauchen, Body Find ist für Sie da. Besser, schneller, billiger.«
»Solche Firmen gibt es bereits«, sagte ich. »NecroSearch International zum Beispiel. Die leisten fantastische Arbeit. Obwohl NecroSearch vorwiegend auf die Auffindung von Opfern spezialisiert ist.«
»Es gibt noch einen großen Unterschied. NecroSearch ist eine Non-Profit-Organisation. Jedes Teammitglied ist ein Freiwilliger. Das Ziel von Body Find ist es, Kohle zu verdienen.«
»Privatisierte Forensik?«
Santangelo nickte. »Und Briel tut im Augenblick alles, was in ihrer Macht steht, um ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Wenn sie soweit sind, dass sie wirklich ins Geschäft einsteigen können, will sie Kanada sucht den Superstar der Verbrechensaufklärung gewinnen.«
»Anthropologie eingeschlossen. «
»Ja. Das muss man sich mal vorstellen.«
Ich starrte Santangelo an. Sie starrte zurück. Um uns herum das Klappern von Porzellan und das Plätschern von Gesprächen.
Der Kellner kam zu uns. Als er die Spannung spürte, legte er nur die Rechnung auf den Tisch und ging sofort wieder. »Geben Sie's ihr, Tempe.« Santangelo sagte es leise, aber sehr emotionsgeladen.
»Warum ich?«
»Warum nicht? Sie hatten doch noch nie Angst, einem Scharlatan in den Hintern zu treten.«
Als ich wieder zu Hause war, drohte die Mattigkeit mich noch einmal flachzulegen. Dennoch startete ich eine Google-Suche über Sebastien Raines. Nichts zu wollen.
Als Nächstes rief ich Jean Tye an, einen Kollegen an der Universtité de Montréal. Tye wusste wenig außer der Tatsache, dass Briels Mann sich 2007 um eine Stelle an der U de M beworben hatte. Da Raines keinerlei Forschung betrieben, nichts veröffentlicht hatte und nur einen Master-Abschluss vorweisen konnte, wurde er gar nicht als ernsthafter Kandidat betrachtet. Er hatte gehört, dass Raines sich auch bei der Université du Québec à Montreal beworben hatte. Doch auch die UQAM hatte ihn abgelehnt.
Tye wusste, dass Raines mit Auftragsarchäologie zu tun hatte.
Er erinnerte sich, dass Raines in Frankreich Ausgrabungen gemacht und dass er seinen MA von einer Institution erhalten hatte, die Tye überhaupt nicht kannte. Seine Spezialität war urbane Archäologie, also Grabungen in Müllhalden, aufgelassenen Friedhöfen und Gebäuderuinen.
Und noch etwas. Sebastien Raines war aktiv in einer Reihe von Separatistengruppen am radikalen Rand. Laut Tye war Raines' Streben nach einer unabhängigen, Französisch sprechenden nordamerikanischen Nation so radikal, dass der Kerl sogar die meisten Mitglieder des Bloc Québecois vor den Kopf gestoßen hatte.
Ryan rief kurz nach acht an. Er hatte vor, Claudel und Otto um zehn am nächsten Vormittag vor der Wohnung an der Édouard-Montpetit zu treffen.
Samstag. Na und? Ich sagte, ich würde mitkommen.
Um neun war ich wieder im Bett. Frische Laken. Frisches
Nachthemd. Dieselbe alte Katze.
Minuten später war ich schon ohne Bewusstsein.
Im Schlaf sondierte ich. Organisierte. Spielte mit Mustern. Ich sah Rose Jurmains Skelett, angenagt und in einem Kiefernwäldchen verstreut. Vor meinen Augen erhob es sich, die Knochen leuchteten gespenstisch im Mondlicht. Tentakeln wuchsen um das Skelett herum, bewegten sich wie
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