Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
Mutter aus.
Otto schüttelte uns die Hand, musterte unsere Gesichter. Castiglioni führte uns zu einem Aufzug und drückte auf einen beleuchteten Messingknopf. Schweigend fuhren wir in den dritten Stock.
Keisers Wohnung befand sich am Ende eines neu mit Teppichboden ausgelegten Ganges, der nach frischer Farbe roch. Wir kamen an nur einer anderen Tür vorbei.
Castiglioni benutzte einen Generalschlüssel.
Verlassene Wohnungen entwickeln einen gewissen Geruch.
Alte Lebensmittel. Schmutzige Wäsche. Verwelkte Pflanzen. Schale Luft. Die Jalousien waren geschlossen, und die Heizung war heruntergedreht, aber Keisers Wohnung hatte genau dieses Aroma.
Durch die Wohnungstür traten wir direkt ins Wohnzimmer.
Am Ende eines nach rechts abgehenden Korridors befanden sich zwei Schlafzimmer und ein Bad, deren Türen alle nach links abgingen. Den Abschluss des Korridors bildete das Esszimmer. Dahinter lag die Küche. Durch das hintere Fenster sah ich eine Holztreppe, die zu einer Veranda führte.
Ryan und ich gingen nach links, Claudel und Otto nach rechts. Castiglioni blieb im Korridor.
Das Wohnzimmer hatte an einem Eck umlaufende Fenster.
Perlenschnüre hingen vor den Fenstern und machten so zunichte, was der Architekt anscheinend beabsichtigt hatte.
Das Zimmer war geschmückt mit Stuckleisten an der Decke, Schutzleisten in Stuhllehnenhöhe und Sockelleisten in einem Limonengrün, das nicht einmal in der Lackdose gut ausgesehen haben konnte. Der Holzboden war bedeckt mit Teppichen, die aussahen wie aus einem LSD-Trip entkommen.
Amateurlandschaften und -stillleben teilten sich die Wände mit Opernplakaten und Drucken minderer Qualität. Ich erkannte Picasso, Modigliani, Chagall, Pollock.
Porzellanfiguren, Vasen, Fotos, Schneekugeln, Spieldosen und geschnitzte Akte drängten sich auf dem Sims und auf Regalen zu beiden Seiten eines offenen Kamins, dessen Ziegeleinfassung dasselbe unvorteilhafte Grün zeigte wie die Schutz- und Zierleisten. Alle Bilder und der ganze Krimskrams waren in identischem Abstand und perfekten geraden Linien angeordnet.
Ich schaute mir die gerahmten Fotos an. Auf einigen älteren war Otto zu erkennen, zuerst als Kleinkind, dann in Abfolgen, die eine typische Kindheit dokumentierten. Auf vielen stand er neben einem Mädchen, das ein paar Jahre jünger war als er, und immer legte er ihm beschützend den Arm um die Schulter. Ich nahm an, dass es seine Schwester Mona war.
Die beiden tauchten auch wiederholt als Teenager auf. Porträts aus Schuljahrbüchern. Schnappschüsse von Schulbällen. Otto auf der Motorhaube eines Chevrolets. Abschlussfotos von Mona, sowohl von der Highschool wie vom College.
Offensichtlich hatte Keiser ihre Kinder geliebt. Ich fragte mich, wurde sie auch von ihnen geliebt? Von irgendjemandem? Der Gedanke machte mich traurig, während ich mich weiter umschaute.
Zu der Sammlung gehörte auch ein formelles Hochzeitsfoto, das Keiser mit einem sehr dünnen Mann zeigte. Kleidung und Frisuren deuteten auf die Fünfziger hin. War der Bräutigam Uri?
Ein Schnappschuss zeigte eine ältere Keiser in einem rustikalen Kleid mit einem kleinen Blumenstrauß in der Hand. Neben ihr stand ein kurzer, dunkler Mann in einem zugeknöpften braunen Anzug. Die beiden standen vor dem Hôtel de ville, dem alten Rathaus von Montreal.
Ryan stellte sich neben mich.
»Glaubst du, dass das Pinsker ist?«, fragte ich.
»Passen würde es. Die Koteletten und die Revers des Kerls schreien frühe Achtziger. Keiser und Pinsker sind den Bund vierundachtzig eingegangen. Irgendwelche Fotos von der Adamski- Vermählung?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wie alt würdest du Otto schätzen?«
»Mitte bis Ende dreißig.«
Ryan rechnete im Kopf nach. »Uri und Marilyn waren ziemlich lange verheiratet, bevor sie Kinder hatten. Interessant.«
Ich deutete in weitem Bogen auf die Fotosammlung. »Noch eine interessante Beobachtung. Jede Menge Fotos aus Kindheit, Jugend und früher Erwachsenenzeit. Nirgendwo sehen Otto oder seine Schwester älter als fünfundzwanzig aus.«
»Du vermutest ein Zerwürfnis, das zehn Jahre zurückreicht?«, fragte Ryan.
»Entweder das, oder die Fotos aus dem letzten Jahrzehnt gingen verloren oder wurden vernichtet.«
»Eher unwahrscheinlich. Keiser war eine Hamsterin.«
»Eine sehr ordentliche Hamsterin. Schau dir die Regale an. Die Sachen sind mit der Präzision eines presbyterianischen Chors arrangiert.«
»Zehn Jahre.« Ryan dachte laut.
»Ungefähr die Zeit, als Keiser Adamski
Weitere Kostenlose Bücher