Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
einen Raum mit einem weißen Fliesenboden, weißen Wänden und vielleicht einem Dutzend Tischen mit Resopalplatten. Ebenfalls weiß.
Aber die Tonkinoise-Suppe ist eine Sensation.
Santangelo war schon da, als ich ankam, sie saß in einer hinteren Ecke und las die Speisekarte. Sie lächelte, als sie mich sah. Winkte.
»Die Kälte heilt mich entweder, oder sie bringt mich um.« Ich zog Schal und Handschuhe aus und zog den Reißverschluss meines Parkas auf. »Bin froh, dass Sie angerufen haben. Ich brauchte ein bisschen frische Luft.«
»Sie sind zu Fuß gegangen.«
«Ist nicht sehr weit.« Der zweite Vorzug des Pho Nguyen ist, dass es nur wenige Blocks von meiner Wohnung entfernt liegt.
Ich stopfte meine Accessoires in einen Ärmel und hängte den Parka über die Stuhllehne. Ein asiatischer Junge kam zu mir, kaum dass ich mich gesetzt hatte. Seine Wangenknochen waren hoch, die Haare dicht und schwarz, mit einer Platin-Strähne vorne. Durch die rechte Braue war ein goldener Ring gezogen. »Ich nehme Nummer die sechs.«
»Was ist das?«, fragte Santangelo.
»Pho bo. Rindersuppe mit Nudeln.«
»Für mich dasselbe.« Santangelo steckte die Speisekarte wieder in den Halter.
Der Junge ging zur Theke und schrie seine Bestellung in die Küche.
»Ich bin nicht gerade das, was man eine abenteuerlustige Esserin nennen würde«, sagte Santangelo.
»Die Suppe wird Ihnen schmecken.«
Der Junge kehrte mit kleinen Tellern mit Basilikum, Limonenscheiben und Sojasprossen zurück.
Santangelo schaute mich fragend an.
»Ich zeige Ihnen, wie das geht«, sagte ich.
Ich erzählte Santangelo von der Entwicklung der Keiser- und Villejoin-Ermittlungen. Von Ayers Kummer wegen des übersehenen Schusskanals. Da sie voll mit ihrem Wechsel ins Büro des Coroners beschäftigt war, hatte man sie nicht auf dem Laufenden gehalten. Als die Suppe kam, konzentrierten wir uns darauf, sie mit scharfer Sauce und Sojasauce und den frischen Ingredienzien zu verfeinern.
Wir schlürften und rührten schon eine Weile, als Santangelo endlich zu dem kam, was ihr auf dem Herzen lag.
»Kennen Sie eigentlich den wirklichen Grund, warum ich das Institut verlasse?«
»Nein.«
»Die Atmosphäre ist unerträglich geworden. Wegen Briel.« Santangelo spuckte den Namen fast. »Sie ist das reinste Gift.« Wie Ryan benutzte ich Schweigen, um sie zum Weiterreden zu bringen. Sie tat es. Und zwar ausführlich.
»Diese Frau ist ehrgeizig bis zur Skrupellosigkeit. Sie istüberall, schneidet sich ein Stück aus jedem Kuchen. Nächtelang steht sie im Autopsiesaal. Sie unterrichtet an der Uni. Hat ein Forschungsstipendium. Plant, bei einer Million Konferenzen Aufsätze zu präsentieren. Sie ist eine gefühllose, mitleidlose, kaltherzige Aufsteigerin.«
»Nur nicht hinterm Berg halten.«
»Das ist nicht lustig, Tempe. Briel ist entschlossen, ein Superstar zu werden, und es ist ihr egal, wen sie auf ihrem Weg zum Ruhm vernichtet. Haben Sie gewusst, dass sie heute ihre Doktorandin gefeuert hat? Brachte das Mädchen zum Weinen.«
»Duclos?« Santangelo nickte. »Warum?«
»Wahrscheinlich, weil die Kleine warmes Blut in ihren Adern hat.«
»Warum pfeift nicht irgendjemand Briel zurück?«
»Sie hat die anderen Pathologen alle eingeschüchtert, und der Chief Coroner frisst ihr aus der Hand.«
Santangelo rührte mit dem kleinen Porzellanlöffel in ihrer Suppe. Legte ihn weg. Nahm die Stäbchen zur Hand. Schob ihre Schüssel in die Tischmitte.
»Sie haben gesagt, Sie haben Briels Interview gestern Abend gesehen?«
»Ja.«
»Haben Sie gehört, wie sie diesen Laden Body Find gepusht hat? Corps découvert? Die Firma gehört ihrem Mann.«
»Das ist doch wohl ein Witz.« Meine Stimme verriet, wie geschockt ich war.
»Ich habe gehört, wie sie mit Joe Bonnet darüber gesprochen hat. Sie und ihr Mann werden die nächsten Mulder und Scully sein.« Santangelos Stimme troff vor Verachtung.
»Mit wem ist sie verheiratet?«
»Sebastien Raines. Ein Archäologe.«
Das überraschte mich. Ich dachte, ich würde alle Archäologen in Montreal kennen, zumindest dem Namen nach.
»Ist Raines Fakultätsmitglied an einer der Universitäten?«
Santangelo schüttelte den Kopf. »Er macht Kulturressourcen-Management.«
Normalerweise arbeiten KRM-Archäologen für Behörden und Firmen, die nach dem Gesetz archäologische Stätten, die von Baumaßnahmen bedroht sind, bewahren müssen. Einige kümmern sich um die archäologischen Anteile der Studien zum Umwelteinfluss. Andere leiten
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