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Das Grab - Roman

Das Grab - Roman

Titel: Das Grab - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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alte Trottel ist blind. Er kann mich nicht sehen.
    Doch er durfte ihn auf keinen Fall entkommen lassen. So übel zugerichtet der Alte auch war, er konnte immer noch reden.
    Mich verraten .
    Melvin stieg von dem Felsen. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg zum Fuß der Böschung und stieg in den Fluss. Das Wasser war kalt und reichte ihm bis zu den Knien. Die Steine im Flussbett waren rutschig unter seinen Schuhen.
    Er sah unter die Brücke. Alles schwarz dort unten, doch im Licht von der anderen Seite würde Charlies Silhouette zu sehen sein, zumindest wenn er aufrecht stand. Andernfalls …
    Melvin ging wieder in die Hocke. Das kalte Wasser stieg bis zu seinem Schritt und vertrieb die Hitze aus seinem Unterleib. Es stieg bis zur Brust und nahm ihm den Atem. Doch er war jetzt tief genug, dass sich alles, das mehr als ein paar Zentimeter aus dem Wasser ragte, vor dem fahlen Lichtschimmer jenseits der Brücke als schwarzer Schatten abzeichnete.
    Ein dunkler Klumpen in der Mitte des Flusses ließ sein Herz einen Schlag lang aussetzen. Er kniff die Augen zusammen. Charlies Kopf? Vielleicht nur ein Stein oder das Ende eines dicken Asts, der aus dem Wasser ragte. Was immer es war, es bewegte sich nicht. Melvin überlegte, ob er näher waten sollte.
    Es war so entsetzlich dunkel dort.
    Er fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.
    Das ist nicht Charlie, sagte er sich.
    Vielleicht aber doch.
    »Charlie?«, rief er leise. Seine Stimme klang heiser.
    Keine Antwort.
    Melvin richtete sich auf und wollte sich von der Brücke abwenden, doch plötzlich hatte er nicht den Nerv, all dieser Dunkelheit – und was immer in ihr lauerte – den Rücken zuzukehren. Stehend konnte er das Ding nicht mehr sehen. Er stellte sich vor, wie es durchs Wasser auf ihn zuglitt. So schnell er konnte, watete er ans Ufer zurück.
    Er sah zu dem brennenden Wagen hinauf. Es war ein gutes, tröstliches Gefühl, all das Licht zu sehen. Er wünschte, er wäre jetzt dort oben. Im Hellen, in der Wärme.
    Als er den Blick senkte, wusste er, dass es ein Fehler gewesen war, in das Feuer zu schauen. Jetzt konnte er in der Dunkelheit so gut wie nichts erkennen. Davor hatte er noch gesehen, was um ihn herum war, wenn auch nur schemenhaft. Jetzt sah er nichts mehr.
    Ich bin blind, dachte er.
    So blind wie Charlie.
    Er könnte sich leicht an mich heranschleichen.
    Melvin wirbelte herum und stolperte durch das knietiefe Wasser. Er hätte Charlie suchen und ihm den Rest geben müssen, aber alles, was er im Augenblick empfand, waren Angst und der Drang, abzuhauen. Das Beste schien, dem Fluss zu folgen, bis er weit genug von der Straße weg war, und dann quer durch die Wälder nach Hause zu marschieren.
    Er zuckte zusammen, als das erste Aufheulen eines Feueralarms die Stille zerriss.
    Er erfüllte die Nacht, laut und durchdringend, ein Sirenengeheul, das anschwoll, dann leiser wurde und wieder anschwoll.
    Während die freiwillige Feuerwehr aus dem Schlaf gerissen wurde, raste sicherlich bereits ein Streifenwagen der Polizei in Richtung Brücke.
    Leise wimmernd rannte Melvin flussabwärts. Er watete mit ausgreifenden Schritten voran, doch das Wasser zerrte an seinen Beinen. Dann trat er mit dem linken Fuß auf etwas, das sich unter seinem Gewicht bewegte. Er rutschte ab, taumelte, ließ den Stein fallen und verlor das Gleichgewicht. Das Wasser schlug über ihm zusammen. Von hinten schlangen sich Arme um ihn .
    O GOTT, NEIN!
    Er wollte schreien, hielt jedoch die Luft an, da er von dem Ding unter ihm festgehalten wurde – das Ding, das Charlie Gaines sein musste. Es umklammerte ihn. Es schlang seine Beine von hinten um seine eigenen. Etwas glitt über seine Lippen. Charlies Zunge? Dann spürte er Zähne an seiner Unterlippe und seinem Kinn. Er riss den Kopf zurück und hörte das Klicken zuschnappender Zähne.
    Er hat versucht, mich zu beißen!
    Wie Patricia.
    In diesem Augenblick änderte sich alles für Melvin. Das Entsetzen, das ihn gepackt hielt, zerbrach wie eine Schale, die sein Denken umschlossen und erstickt hatte. Er spürte, wie dieses Schale zersplitterte und auseinanderflog, spürte, wie seine Gedanken klarer wurden. Er lächelte.
    Plötzlich war er wieder Melvin , nicht mehr irgendein wimmernder Weichling, und das Ding, das ihn umschlang und zu beißen versuchte, war bloß Charlie Gaines. Kein grauenerregender Zombie, nur ein alter Furz, der knusprig gebraten war und nicht wusste, wann er zu sterben hatte.
    Ein durchgebratenes Steak.
    Mit

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