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Das Grab - Roman

Das Grab - Roman

Titel: Das Grab - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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stehen und blickte nach unten. Auf einem dunklen Stein konnte Vicki die vage Form eines zerdrückten Zigarettenstummels ausmachen.
    »Meine Hände sind nass«, flüsterte Jack. »Darf ich?«
    Vicki war sich nicht sicher, was er meinte, und zuckte mit den Achseln.
    Er presste seine rechte Hand vorne auf ihr T-Shirt. Sie fühlte, wie die Hand über ihren Bauch rieb, und begriff, dass er ihr Shirt als Handtuch benutzte, weil seine Shorts nass waren. Er drehte seine Hand um und rieb den Handrücken ab, dann ballte er die Faust um den Saum des T-Shirts. Als er die Hand wegzog, spürte sie die Feuchtigkeit, die sie auf dem Stoff hinterlassen hatte. Und sie spürte noch immer seine Berührung, ein warmer, erregender Nachklang.
    Er bückte sich und hob den Zigarettenstummel auf. Er rollte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ganz frisch«, flüsterte er. »Der Filter ist noch feucht.«
    »Der Suchtrupp ist also mindestens bis hierher gekommen«, sagte Vicki. Dies bestätigte ihre Vermutungen.
    »Sie könnten ihn übersehen haben.«
    »Aber sie haben doch Taschenlampen.«
    »Willst du umkehren?«, fragte Jack und warf den Zigarettenstummel in die Büsche.
    »Ich weiß nicht.«
    »Es ist okay, wenn du noch weitersuchen willst.«
    »Aber das Stück von hier bis zur Brücke haben sie schon abgesucht.«
    »Es liegt ganz bei dir«, sagte er.
    »Ich nehme an, es hat nicht viel Sinn.«
    »Vielleicht haben sie ihn ja gefunden.«
    »Vielleicht.«
    Jack trat einen Schritt näher an Vicki heran. Er drückte sanft ihren Oberarm und ließ dann seine Hand darauf liegen. »Ich wünschte, es gäbe etwas, das wir für Charlie tun könnten.«
    »Wir haben getan, was wir konnten.«
    »Er bedeutet dir sehr viel, oder?«
    Vicki nickte. »Er hat mir sehr geholfen. Ich war seine Patientin, als ich klein war. Als er mitbekam, dass ich mich für Medizin interessierte, hat er mich sozusagen unter seine Fittiche genommen. Oft bin ich nach der Schule in seine Praxis gegangen, und er hat mir Sachen gezeigt, oder wir haben uns unterhalten.«
    »Klingt, als wäre er so was wie ein Vater für dich gewesen. «
    »Ich hab nie eine Vaterfigur gebraucht … ich habe Gott sei Dank einen wunderbaren richtigen Vater. Charlie und ich waren uns auch nie wirklich nahe. Wir waren Freunde, aber auf einer eher beruflichen Ebene. Er hat mich immer ermutigt, Medizin zu studieren.«
    »Er muss dich sehr gerngehabt haben«, murmelte Jack und streichelte sanft ihren Arm.
    »Mehr, als ich jemals gedacht hätte. Ich wünschte nur …« Es schnürte ihr die Kehle zu. »Ich wünschte, ich hätte mich mehr um ihn gekümmert. Ich hätte mich mit ihm auch außerhalb der Praxis treffen sollen, mit ihm Essen gehen oder …«
    »Hat er Familie?«
    »Er ist geschieden. Er hatte keine Kinder. Er war völlig allein, und ich habe ihn ignoriert.«
    »Du hast mit ihm zusammengearbeitet«, sagte Jack. »Ich kann mir vorstellen, dass es genau das war, was er von Anfang an wollte. Ich glaube, du hast all die Hoffnungen erfüllt, die er in dich gelegt hatte. Du solltest dich nicht schuldig fühlen, weil du denkst, du hättest mehr tun sollen.«
    Das ist eine vernünftige Art, die Sache zu betrachten, dachte sie. »Er hat sich nie verhalten, als würde er … Ich meine, ich ging meinen Weg und er seinen. Ich weiß nicht, was er machte, wenn er von der Praxis nach Hause fuhr. Er hatte eine Menge Geld und ein sehr schönes Zuhause. Und für einen Mann seines Alters sah er ganz annehmbar aus. Deshalb habe ich angenommen, dass er gut zurechtkommt. Ich habe mir nie Sorgen um ihn gemacht. Ich habe, ehrlich gesagt, nicht viel an ihn gedacht. Hätte ich aber tun sollen.«
    Jack streichelte ihre Wange. »Möchtest du weitersuchen? «
    »Ich glaube nicht.«
    »Wir gehen in die Stadt zurück und finden raus, ob es etwas Neues gibt. Wer weiß, vielleicht hat Charlie alles gut überstanden. Vielleicht liegt er jetzt schon in einem Krankenhauszimmer und kommandiert die Schwestern herum.«
    »Das wäre schön«, murmelte Vicki. »Wenn es nur wahr wäre.«
    Sie wandten sich wieder vom Ufer ab. Vicki hielt seine Hand. Nebeneinander wateten sie in der Mitte des Bachs Richtung Mündung zurück. Obwohl sie keine Hoffnung mehr hatte, Charlie zu finden, schweiften ihre suchenden Blicke ständig über das dunkle Ufergebüsch.
    Ich hätte mich mehr um ihn kümmern sollen, dachte sie. Ich hätte mich vergewissern sollen, dass er glücklich ist. Er war zwar nicht wie ein Vater für mich, aber vielleicht war ich so

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