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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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unterbrach sie ihn. »Bitte! Sprechen wir heute nicht über Cincinnati. Cincinnati klingt nach Bier und Sauerbraten. Heute fühle ich mich allzu französisch, Dave. Wenn wir Gele­genheit haben, werden wir uns am Wochenende darüber unter­halten.«
    »Fein. Auf Wiedersehen, Frau Gräfin.« Mit finsterer Miene legte er auf. »Wenn wir Gelegenheit haben«, sagte er laut.
    »Wie bitte?« fragte Louise, die eben hereinkam.
    »Nichts. Hören Sie zu, Louise, würden Sie für morgen früh den Firmenwagen bestellen? Abfahrt Punkt neun. Wir müssen nach Willisport, um die Fotos für die Burke-Reklame zu schie­ßen.«
    »Ja, Sir«, antwortete Louise. »Ach, wie gern würde ich mit­kommen, Mr. Robbins! Das Baby ist einfach entzückend.« Sie drückte Stenogrammblock und Bleistift gegen ihre flache Brust, in den Augen das ewige Leuchten der Mutterfreude.
    »Und gescheit!« sagte Dave. »Wissen Sie, daß es schon mit Buchstabenklötzen den Namen Burke buchstabieren kann?«
    »Wirklich? Dann muß es ein Wunderkind sein.«
    »Allerdings«, murmelte Dave.
    Am nächsten Tag durchspülte die Morgensonne Dave Robbins’ Zweizimmerwohnung an der East Side, gerade rechtzeitig, um einen Alptraum wegzuschwemmen. Den Handlungsverlauf hatte er in dem Augenblick vergessen, als er die Zähne zu putzen be­gann, aber er erinnerte sich, daß zwei der Hauptdarsteller die Gräfin mit einer Maiskolbenpfeife zwischen den Zähnen und Kermit Burke mit einem schwarzen Turban auf dem Kopf gewe­sen waren.
    Als er zwanzig nach neun ankam, stand der Firmenwagen, ein dunkler Cadillac, vor der Tür. Janey erwartete ihn oben am Auf­zug. Sie trug einen schwarzen Mantel über einem einfachen Tweedanzug und einen finsteren Ausdruck in ihrem Milchglas­gesicht. Sie nahm seinen Ellbogen, schob ihn in den Aufzug und sagte vorwurfsvoll: »Wir sind spät dran, lieber Freund. Vergiß nicht Babys Mittagsschlaf.«
    Als sie neben ihm im Auto saß und den roten Nacken des Chauffeurs Barney vor sich sah, glättete sich ihre Stirn, und sie drückte sich fest an ihn an.
    »Das ist nett. Alle beruflichen Angelegenheiten sollte man im Fond eines Cadillacs erledigen.«
    »Meine Mutter hat mir von Frauen deiner Art erzählt«, be­merkte Dave.
    »Was hat sie denn gesagt?«
    »Daß ich hoffentlich eine finden werde.«
    Nach einer halben Stunde bog Barney in eine Seitenstraße ein und gelangte auf einer kurvenreichen Strecke nach Willisport, das etwa fünfzehn Kilometer nördlich von White Plains liegt, ein gemütlicher kleiner Ort, dessen Straßen mit Radargeräten überwacht werden.
    Der Cadillac hielt neben einem geparkten Kombiwagen vor dem Haus Boxwood Avenue 321. Ein untersetzter kleiner Mann stieg aus und kam auf sie zu. Er trug eine Brille mit dicken Glä­sern und eine Fischgrätenjacke, die zu keinem seiner sonstigen
    Kleidungsstücke auch nur die geringste Beziehung hatte. Die von seiner Schulter baumelnde Ledertasche und die Rolleiflex in seiner rechten Hand ließen keinen Zweifel daran aufkommen, daß er der Fotograf war.
    »Guten Morgen, die Herren!« sagte er lächelnd mit zwei hervor­stehenden Zähnen. »Mein Name ist Ray Smalley.«
    »Verflixt!« erwiderte Janey. »Ich wußte doch, ich sollte mir keinen Anzug anziehen. Guten Morgen, Mr. Smalley. Tatsäch­lich bin ich eine Frau und kleide mich nur so, um zudringliche Männer abzuschrecken.«
    Smalleys kleine Äuglein musterten beifällig ihre reifen Run­dungen. »Ja, Sie sind eine Frau!« sagte er kichernd. »Da würde ich freilich gern ein bißchen zudringlich werden.«
    »Ich bin Dave Robbins«, sagte Dave ohne sonderliche Wär­me. »Sie wissen, worin Ihre Aufgabe besteht?«
    »Natürlich, lieber Freund.«
    »Haben Sie den Entwurf gesehen?« fragte Janey.
    »Ich weiß, was von mir verlangt wird. Schauen Sie mal – ich fotografiere Babys, seit ich selber laufen kann.« Er wandte noch immer kein Auge von ihr, und sein Lächeln hatte etwas ent­schieden Lüsternes. »Meine liebe junge Dame, ich möchte Ihnen mal zeigen, was ich kann. Wenn Sie gelegentlich Lust hätten, das Bärenfell in meiner Wohnung auszuprobieren –«
    »Fangen wir an!« sagte Dave schroff.
    Er ging zur Eingangstür des bescheidenen zweistöckigen Hauses, das die Clarkes bewohnten. An der Tür hing noch ein Weihnachtskranz, der braun und zerzaust aussah. Dave betätigte zweimal den Klopfer. Die Tür wurde geöffnet.
    »Oh!« sagte der Mann. »Sie kommen wohl von der Agentur.«
    »Richtig«, erwiderte Dave lächelnd. »Mein Name ist

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