Das graue distinguierte Leichentuch: Roman
nur, wir sollten diese Familienzwiste verschieben. Bis nachher.«
»Bis wann?«
»Bis wir verheiratet sind«, erwiderte jemand, der sich der Stimme Daves bediente. Erstaunt hörte Dave ihr zu und wunderte sich, wie er wohl die Herrschaft über sie verloren hatte.
Janey saß steif auf ihrem Stuhl und starrte auf den grauen Umschlag des Skizzenblocks. »Nennst du das einen Heiratsantrag?«
»Wer? Ich? Natürlich«, erklärte Dave streitsüchtig. »Was sollte es denn sonst sein?«
»Das weiß ich nicht.«
»Natürlich ist es ein Heiratsantrag, verdammt nochmal. Ich bitte dich, meine Frau zu werden. Wie stellst du dich dazu?«
Sie sah ihn an.
»Gestatte mir nur eine einzige Frage. Möchtest du gern heiraten, bevor du meinen Onkel als Mörder festnehmen läßt, oder nachher? Dann könnten wir unsere Flitterwochen ungefähr auf den Zeitpunkt seiner Hinrichtung verlegen. Es wäre doch eine ganz reizende Hochzeitsreise nach Sing-Sing. Meinst du nicht?«
Dave machte den Mund auf, wußte aber nicht, was er mit seiner Zunge anfangen sollte. Ein gurgelnder Laut kam aus seiner Kehle, und Janey wandte sich wieder ihrem Zeichenbrett zu.
»Schön«, sagte er schließlich. »Dann will ich dir sagen, was ich tun werde. Ich werde am Montag damit beginnen, die ganze Geschichte aufzuklären. Ich werde Kermit Burke etwas präsentieren, was er nicht so bald vergessen wird.«
Sie blickte hastig auf.
»Du hast gehört, was ich sage!« fuhr Dave mit bebender Stimme fort. »Wir sind mit unserem Vetter vom Lande verabredet, um ihm die neue Burke-Baby-Annonce vorzulegen und uns über die Verkaufsziffern zu unterhalten. Aber ich werde ihm noch mehr zeigen. Ich werde ihn darauf aufmerksam machen, daß er der Mittelpunkt einer Gala-Zirkusvorstellung ist. Ich werde ihm von den Clarkes und Annie Gander und von Gordon und dem ganzen Wechselbalgmanöver erzählen. Dann werden wir ja sehen, was passiert.«
»Warum sollte er dir Glauben schenken?« flüsterte Janey.
»Ich werde ihn dazu zwingen. Die Fotos sind nicht das einzige Beweismaterial, sei ganz unbesorgt. Es gibt Leute, die die Geschichte untermauern können. Vielleicht nicht du, vielleicht nicht Onkel Homer – aber es gibt solche Leute.«
»Nämlich?«
»Zum Beispiel die Gräfin Szylenska«, erwiderte Dave, und seine Wangen wurden immer röter. »Ihr ist es nicht schwergefallen, sich die Fotos zu verschaffen. Davon wußtest du gar nichts, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, wovon die Rede ist. Was hat denn die Gräfin damit zu tun?«
»Viel mehr, als du denkst. Und es gibt noch etwas, womit du nicht gerechnet hast. Selbst wenn Onkel Homer sich einbilden sollte, seine Spuren verwischt zu haben, irrt er sich sehr. Vergiß nicht Bob Bernstein, der die Aufnahme gemacht hat. Die Negative liegen noch in seinem Atelier verwahrt. Ich kann mir im Handumdrehen eine komplette neue Serie verschaffen.«
»Bernstein ist tot.«
»Aber nicht seine Frau. Wenn also jemand wissen will, wo ich mich heute aufhalte –«
Wütend blätterte Janey in den Seiten ihres Skizzenblocks. Ihre gelassene Milchglasmiene war restlos zerschlagen. Dave, der sich gerade um diese Wirkung bemüht hatte, verspürte jetzt heftige Gewissensbisse. Er wurde blaß und ging zu ihr hin, um ihr zärtlich die Hand zu reichen.
»Um Gottes willen, Janey, lassen wir doch die Maulwurfshügel in Frieden! Sowas darf uns doch nichts ausmachen.«
»Ist es nicht schon geschehen?«
»Sieh mal, das alles können wir doch besprechen, in Ruhe, ohne hitzig zu werden. Vielleicht heute abend –«
Sie las gerade die krakelige steile Handschrift von Harlow Ross auf ihrem Block.
»Nicht heut abend«, sagte sie. »Heut abend bin ich besetzt.«
Dave blickte ihr über die Schulter. Die Worte lauteten: Rate mal, wer Karten hat für Herz in Not‹ heute abend? Dein sehr ergebener Harlow. Wie wär’s?
Dave erstarrte. »Schön«, sagte er, mit erstickter Stimme. »Wenn dir das lieber ist.«
Auf dem Rückweg in sein Büro ging sein Atem immer schwerer, und er hatte das Gefühl, daß die Coffeintablette schließlich doch den Sieg davontragen würde. Er ließ sich mit solcher Wucht in seinen Drehsessel fallen, daß sich von einem Bein die Laufrolle löste. Er machte sie wieder fest, setzte sich dann hin und begann auf die Schreibunterlage loszutrommeln, als wäre sie eine Kesselpauke in einem Varietelokal. Zum Schluß griff er nach dem Telefonhörer und ließ sich mit der Gräfin Szylenska verbinden.
»Ja, David?« Ihr Ton hätte genügt, um
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