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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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bekam, er hätte sein falsches Gebiß zu Hause vergessen. Er stützte die Hände auf die Armlehnen des Sessels und versuchte, sich in die Höhe zu stemmen, schien es aber nicht fertigzubringen. Eine leichte Röte begann sich von dem Rand seines Kragens aus gegen die Wangen hin auszubreiten. Als er wieder den Mund öffnete, erstickte er fast an den Worten, die er hervorzugurgeln versuchte.
    Burke sagte in sanftestem Ton: »Na, lieber Davy, das ist aber recht starker Tobak. Vielleicht wollen Sie mir eine Erklärung liefern?«
    »Gern.«
    »Robbins!« schrie Hagerty.
    »Immer mit der Ruhe, Hummer! Der junge Mann will sein Sprüchlein aufsagen. Stören Sie ihn nicht. Wissen Sie, ich falle nie jemandem ins Wort, wenn er eine Meinung zu äußern hat. Mein Opa sagte immer.« Er verstummte, da ihm nichts einfallen wollte, was sein Opa immer gesagt haben könnte.
    »Weiter, Davy!« brummte er. »Heraus mit der Sprache!«
    Nachdem Dave nun erst einmal den ersten Schritt vom Sprungbrett getan hatte, wagte er kopfüber den Sprung ins kalte Wasser.
    »Schauen Sie genau hin!« Er nahm den Probeabzug vom Schreibtisch. »Ganz genau, Mr. Burke. Unsere künstlerische Abteilung hat die Fotos großartig retuschiert, aber Sie haben doch inzwischen genügend viele Aufnahmen des ursprünglichen Burke-Babys gesehen. Merken Sie den Unterschied?«
    »Was denn für einen Unterschied?«
    »Den allerwichtigsten, Mr. Burke. Auf dieser Annonce wird Ihnen ein anderes Kind gezeigt, weil der wirkliche Donald Clarke tot ist. Er starb im Alter von drei Monaten an einer Hirnhautentzündung, und die Agentur hat Ihnen die Wahrheit verschwiegen, aus Angst, den Auftrag zu verlieren. Schauen Sie genauer hin, Mr. Burke!«
    Burke sah hin und sagte: »Ich sehe keinen großen Unterschied, Davy. Glauben Sie, daß andere etwas merken werden?«
    »Darum kümmere ich mich nicht, Mr. Burke. Entscheidend ist, daß man Sie übertölpelt hat. Da die Agentur keine ausreichenden Sicherungen getroffen hatte, um einer solchen Katastrophe gewachsen zu sein, wählte sie den nächstbesten Ausweg. Sie unterschob das uneheliche Kind einer gewissen Annie Gander.« Er musterte Kermit Burkes Gesicht. Burke zuckte nicht mit der Wimper. »Die Clarkes haben Annie Ganders Kind adoptiert und geben es für ihr eigenes aus. Die Agentur hat den Fotografen gewechselt und alles getan, was sie nur konnte, um den Schwindel zu vertuschen. Aber Sie wissen, Mr. Burke – nichts ist so fein gesponnen. So etwas läßt sich nicht verheimlichen. Es wissen schon zu viele Leute davon.«
    »Nämlich?«
    »Mr. Hagerty weiß es. Mr. Tait hat es gewußt. Der Arzt, der den kleinen Donald behandelt hat, weiß es. Die Clarkes wissen es. Bob Bernstein, der Fotograf, könnte es gewußt haben. Und nun sind noch andere mit hineinverwickelt: zum Beispiel die Gräfin Szylenska und Harlow Ross und Mr. Hagertys Nichte.«
    Hagerty griff nach seinem Schlips, als ob er eine Pythonschlange wäre, die ihn zu erwürgen drohte. »Janey?« stieß er hervor. »Janey weiß es?«
    »Eine recht schöne Geschichte«, sagte Burke gelassen. »Wie kommt es, daß mir keine dieser Personen schon früher reinen Wein eingeschenkt hat, Davy?«
    »Das können Sie sich selber ausrechnen. Erstens einmal sind drei davon tot. Annie Gander, Gordon Tait, Bob Bernstein. Dem Arzt wurde durch ein geschicktes Manöver Gordons der Mund gestopft. Er hat einmal durch eine illegale Abtreibung den Tod einer Frau verschuldet. Die Clarkes schweigen, weil sie ihren Ersatz-Donald behalten wollen. Ich will gar nicht von dem Geld reden, das für sie dabei herausschaut. Was die Gräfin, Harlow Ross – und Janey betrifft – nun ja, jeder von ihnen hat seinen Standpunkt. Aber ich habe einen Namen auf meiner kleinen Liste vergessen, Mr. Burke: mich selber. Ich kenne die Wahrheit, und ich habe sie Ihnen mitgeteilt. Darüber hinaus rate ich Ihnen, die Kampagne einzustellen, bevor noch jemand darunter zu leiden hat –«
    »Niemand hat zu leiden gehabt!« stieß Hagerty heftig hervor. »Der Austausch hat niemandem weh getan! Er war geschäftlich notwendig –«
    »Sachte, sachte, Hummer, der junge Mann ist noch nicht fertig! Oder doch, Davy?«
    »Fast, Mr. Burke. Ich wollte nur noch folgendes sagen: Dieser Schritt ist mir nicht leichtgefallen. Er wird mich wahrscheinlich meine Stellung und vielleicht auch die Frau kosten, die ich liebe. Aber es wäre mir noch schwerer gefallen, das Geheimnis für mich zu behalten. Es begann zu faulen und zu stinken wie ein alter

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