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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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möchte gern von Ihnen hören.«
    »Okay, Mr. Hagerty«, erwiderte Dave. Mit einem breiten Grinsen ging er auf die Tür zu.
    »Ach ja – Dave, noch etwas!«
    »Ja, Sir?«
    »Ich halte es nicht für richtig, daß einer der Hauptaktionäre nur ein gewöhnlicher Angestellter der Firma ist. Deshalb wollen wir Sie zum Direktor befördern.«
    Es lag etwas Glückseliges in Daves Miene, als er durch die Korridore der Firma Hagerty & Tait wandelte. Das fiel den Leuten auf, die ihm begegneten, und sie nickten ihm freundlich zu, ohne stehenzubleiben und ihn anzureden. Auch als er Janeys Büro betrat und es zu seiner Enttäuschung leer vorfand, blieben seine Züge heiter. Er kehrte in seine eigenen Gefilde zurück und nahm es Louise nicht übel, daß sie in ihrer besorgten Art auf sein seltsam starres Lächeln reagierte.
    »Sind Sie all right, Mr. Robbins?«
    »Natürlich bin ich all right. Hören Sie mal, das ist ein sehr hübsches Kleid, das Sie anhaben, Louise.«
    Sie sah völlig verblüfft drein. »Meinen Sie wirklich, Mr. Robbins?«
    »Sicher. Die Farbe steht Ihnen gut.«
    »Oh!« seufzte Louise ekstatisch und fiel mit Leidenschaft über ihre Schreibmaschine her.
    Dave machte die Bürotür zu, setzte sich in seinen Drehstuhl und legte die Füße auf den Tisch. Zum erstenmal erlebte er eine richtige Euphorie und schaukelte wie in einem Traum auf daunenweichen Wolken dahin. Nach ein paar Minuten gedankenlosen Genusses begann sein Hirn wieder zu arbeiten, und er lachte in sich hinein.
    Wie hatte er nur jemals Homer Hagerty ein so ordinäres Verbrechen wie einen Mord zutrauen können? Nun erschien ihm dieser Gedanke einfach lächerlich. Freilich hatte Annie Gander Hagerty erpreßt und in die Enge getrieben, und Mord ist ein todsicheres Mittel, um Erpresser zu beseitigen. Wahrscheinlich aber hatte er so reagiert, wie alle Geschäftsleute auf eine Bedrohung ihres Nettogewinns reagieren würden: mit wütendem Geschrei, Vorwürfen, eifriger Suche nach Auswegen und Alternativen, mit Erbitterung und sogar mit Haß, aber zuletzt mit barem Geld auf den Tisch. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, ein Verbrechen durch ein noch riskanteres vertuschen zu wollen. Dave versuchte, sich Homer Hagerty mit einem dicken Revolver unter dem erstklassigen Maßanzug vorzustellen, wie er Annie Gander gegenüb ersteht und mit der stahlharten Stimme eines Gangsters sagt: ›Okay, meine Liebe, du hast es so gewollt.‹ Und wie er dann den Revolver zieht und ihr die Mündung an den Hals drückt. Bum! Bum! Du bist tot!
    Dave nahm die Füße vom Schreibtisch und schlug sich auf die Knie. Wie hatte er nur so dumm sein können? Morde werden nicht von dicklichen, weißhaarigen Geschäftsleuten verübt, die ihre Zeit auf Clubs, Cadillacs, Cocktails, Kundschaft und Konferenzräume verteilen. Morde sind das Werk finsterer Männer in Overalls, schmutziger Jugendlicher mit Stellmessern in der Tasche, gefährlicher kleiner Burschen wie Willie Shenk.
    Willie Shenk. Natürlich war er es gewesen. So einfach, so einleuchtend – und er hatte es nicht wahrhaben wollen, weil es zu simpel war. Willie hatte die Gelegenheit gehabt, Willie hatte die Mittel gehabt, und was am wichtigsten war, Willie hatte die Anlage dazu gehabt. Als er ihn hier in diesem Raum seine Geschichte erzählen hörte, hatte er ihm aufs Wort geglaubt, ja, sogar ein leises Mitgefühl mit diesem sonderbaren Mann empfunden, der seine Liebe zu der Toten beteuerte. Aber Willie mußte es gewohnt sein, verbrecherische Taten frech abzuleugnen. Das gehörte zu seinem Metier.
    Die Morgenzeitung lag im Papierkorb. Dave fischte sie heraus und überflog noch einmal die letzten Seiten, um zu sehen, ob der Fall Gander erwähnt wurde. Wieder nichts. Warum hatte die Polizei Willie Shenk noch nicht gefunden? Wenn man ihn endlich erwischte und in die Zange nahm, würde sich vielleicht des Rätsels Lösung finden. Er fühlte sich beinahe versucht, selber die Polizei anzurufen und von seiner Zusammenkunft mit Willie Shenk und Max Theringer zu berichten. Aber er wußte, daß er sich das nicht erlauben durfte.
    Dann kam ihm ein Gedanke. Vielleicht konnte Max ihm etwas Neues mitteilen. Vielleicht gab es eine neue Spur, vielleicht hatte die Polizei neue Schritte eingeleitet.
    Er griff nach dem Hörer und rief den Times-Express an.
    »Hallo, Max? Hier spricht Dave Robbins. Ich wollte nur schnell mal anrufen und mich erkundigen, wie es Ihnen geht.«
    »Magenverstimmung«, sagte Theringer. »Und was macht die Madison

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