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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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hat nichts damit zu tun.«
    »Es stimmt also.«
    »Na und? Das hat doch nichts mit dem Mord zu tun. Er weiß nicht einmal, daß ich ihn im Verdacht hatte. Aber er ist nicht der Typ eines Mörders, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Nein, das verstehe ich nicht. Ich bin erst seit etwa zwanzig Jahren Kriminalreporter und habe nie feststellen können, wie der Typ aussieht, der einen Mord begeht. Da hatten wir zum Beispiel die liebe alte Dame, die einen Kindergarten leitete. Sie zerstückelte ihren Gatten und schickte die Teile nach St. Louis. Und dann dieser gutaussehende junge Anwalt, frisch vom College. Achtmal fuhr er über seine Braut mit einem Buick. Und der Geistliche –«
    »Okay, okay«, warf Dave verdrossen ein. »Also gibt es eben keinen bestimmten Mördertyp. Aber ich frage Sie rundheraus – ist es denn nicht tausendmal wahrscheinlicher, daß Willie Shenk Annie Gander umgebracht hat? Hatte er nicht einen Grund und auch die Gelegenheit? Ist er nicht doch weit eher der richtige Typ?«
    »Natürlich.«
    »Glauben Sie ihm, was er sagt? Halten Sie ihn für unschuldig?«
    »Das ist der Haken bei Willie. Er kann großartig lügen. Auch wenn er die Wahrheit sagt, kennt man sich nicht aus.«
    »Aber Sie halten ihn für unschuldig?«
    »Ich halte ihn nicht für unschuldig«, erwiderte Max Theringer, »ich weiß, daß er unschuldig ist.«
    Dave zuckte zusammen. »Was soll denn das heißen?«
    »Ich habe heute früh mit meinem Freund Kriminalleutnant Berger gesprochen. Gestern hat man Willie aufgegriffen und ihn vier Stunden später laufen lassen. Sehen Sie, die Polizei hat nun doch nicht die ganze Zeit fest geschlafen, wenn es auch danach aussehen mochte. Man hat, seit der Mord passiert ist, alle möglichen Zeugen verhört und alle möglichen Alibis überprüft. Nicht einmal Willie selbst hätte seine Unschuld besser beweisen können, als es der Polizei gelungen ist. Das hat man ihm natürlich nicht erzählt, aber er steht nicht mehr unter Tatverdacht.«
    Von Daves Euphorie war nicht mehr viel übriggeblieben.
    »Warum sind Sie Ihrer Sache so sicher?«
    »Man hat die Mieter in Annies Haus vernommen. Zwei davon haben sie drei Stunden, nachdem Willie Shenk die Wohnung verlassen hatte, am Leben gesehen. Der Portier des Hotels, in dem Willie abstieg, konnte den Zeitpunkt seiner Ankunft genau bestimmen. Ebenso der Pikkolo. Ebenso der Mixer in der Hotelbar. Es gab nicht die kleinste Einzelheit in Willies Geschichte, die der Polizei nicht schon vorher bekannt gewesen wäre. Ganove hin, Ganove her, Willie Shenk hat Annie Gander nicht umgebracht. Und damit ist der schöne Traum zu Ende.«
    Dave fiel förmlich in sich zusammen. Die schmalen Achseln seines Jacketts wurden noch schmäler.
    »Wenn also Willie nicht der Täter ist –«
    »Muß jemand anderer es sein. Vielleicht jemand, der eigentlich gar nicht ein Mördertyp ist.«
    Dave wollte abermals protestieren, wurde jedoch unterbrochen. Das Telefon auf Theringers Schreibtisch klingelte mit erschreckender Lautstärke. Dave fuhr zusammen, aber der Reporter griff gelassen nach dem Hörer und brummte eine Begrüßung in die Muschel. Er hörte ein Weilchen zu, sagte dann: »Okay, schönen Dank!« und legte auf. Dann verschränkte er seine Finger auf der Tischplatte und sah Dave forschend an.
    »Haben Sie je einen wirklichen Mord gesehen?«
    »Was?«
    »Einen wirklichen, grundehrlichen Mord. Sie reden und regen sich auf über den Mord an Annie, aber alles, was Sie wirklich davon gesehen haben, ist ein Foto und einige Zeitungsartikel. Vielleicht sind Sie wie die meisten Leute, wenn es um einen Mord geht. Sie sind so daran gewöhnt, Morde im Film und im Fernsehen zu sehen, in Büchern davon zu lesen – sie beginnen zu glauben, daß Mord etwas Abstraktes ist, eine Art Spiel. Aber haben Sie je einen Ermordeten gesehen, eine wirkliche Leiche – ohne Ketchup?«
    »Nein«, sagte Dave.
    »Vielleicht täte es Ihnen gut. Vielleicht sollten Sie wissen, wovon wir sprechen, wenn wir das Wort in den Mund nehmen. Vielleicht werden Sie anders darüber denken.« Er deutete mit dem Kopf zum Telefon. »Das war Berger. Er ist drüben in der Fünfzehnten Straße in einem Gasthaus. Irgendeinem Mädchen wurde die Kehle durchgeschnitten. Wollen Sie mitkommen?«
    Dave schluckte. »Sie meinen – jetzt?«
    »Natürlich jetzt. Ich gehe hinüber, und ich lade Sie ein. Ich gebe Ihnen einen Presseausweis, damit Sie hineinkönnen. Sie werden nicht so schnell wieder so eine Gelegenheit haben.«
    »Also

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