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Das graue distinguierte Leichentuch: Roman

Titel: Das graue distinguierte Leichentuch: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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zwanzig Minuten, bevor Theringer in der Nische bei ›Ferdy‹ erschien, wo Dave immer noch vor seinem ersten Glas saß.
    Mit einem tiefen Seufzer ließ Theringer sich auf die Bank sinken und sagte: »Äußerst kurze Geschichte. Der Laufbursche aus dem Gemischtwarenladen hat gestanden. Hübscher Junge – der Casanova des Viertels. Offenbar hat er Annäherungsversuche gemacht, und sie fing zu schreien an. Ungefähr so muß es sich abgespielt haben. Da bekam er Angst, verlor den Kopf und –«
    »Schrecklich!« stieß Dave hervor. »Wie kann man denn so etwas –«
    Theringer unterbrach ihn schroff. »Die Angst! Wenn Menschen in Angst geraten, sind sie zu allem fähig. Er hatte schreckliche Angst, wegen Notzucht eingesperrt zu werden. Andere wieder geraten aus anderen Gründen in Panik. Drohen Sie einem Mann, ihm seinen Lebensunterhalt, sein Ansehen, alles, worauf er Wert legt, wegzunehmen – er wird ängstlich werden und manchmal auch in Verzweiflung geraten. Aus Verzweiflung kann er einen Mord begehen.«
    Dave wußte, was gemeint war. »Gut. Sie behaupten also, daß ein Mord eine recht verteufelte Angelegenheit sei und daß es gar nicht darauf ankomme, warum er begangen wird.«
    »So ungefähr.«
    »Und Ihrer Meinung nach irre ich mich in bezug auf Homer Hagerty. Sie halten meine ursprüngliche Vermutung für richtig.«
    »Das ist Ihre Sache. Wie Sie selber sagten, liegen keine Beweise vor.«
    Dave schlug auf den Tisch, so daß Theringers Whiskyglas Rumba tanzte. »Das meine ich doch eben! Kein Beweis – nur ein vager Verdacht! Selbst, wenn ich es beweisen wollte –«
    »Das ist nicht Ihre Aufgabe, lieber Freund. Dafür wird die Polizei bezahlt. Sie brauchen ihr nur mitzuteilen, was Ihnen bekannt ist. Überlassen Sie es ihr, sich nach den Fakten umzuschauen, die den Verdacht bekräftigen.«
    »Aber ich kann doch nicht eine solche Anschuldigung erheben! Das würde ja –« Er verstummte.
    »Das würde Ihnen die Suppe versalzen, ja? Mit Ihrer prima Stellung und Ihrer süßen Braut.«
    Dave wand sich jämmerlich. »Was würden Sie an meiner Stelle tun, Max?«
    »Wer? Ich?« Der Reporter lachte trocken. »Ich würde jede Woche meinen Scheck kassieren, vom Spesenkonto leben, einen Cadillac fahren, schön brav meine Martinis trinken, das Mädchen heiraten, mir ein Haus in Connecticut kaufen und nicht mehr an die Sache denken. Aber ich bin schließlich ein verkommener, nichtsnutziger Lump.«
    Dave leerte sein Glas auf einen Zug. »Gut. Ich möchte nichts Unrechtes tun, Max. Aber wenn ich es vorläufig vermeiden kann, die Polizei mit hineinzuziehen, bis ich genau weiß –«
    Theringer trommelte auf den Tisch. »Es gibt einen Weg. Aber er ist nicht ganz einfach.«
    »Nämlich?«
    »Diese Art Verbrechen, mit der wir es hier zu tun haben – es ist ein Verbrechen, das fortzeugend andere Verbrechen nach sich zieht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Annie erpreßt jemanden, die Erpressung führt zu einem Mord. Sie finden allerlei Spuren, die mit dem Mord zusammenhängen – also versucht man, Sie umzulegen. Das ist eine Kettenreaktion.«
    Dave dachte an Bob Bernstein, hielt aber den Mund.
    »Solange der Mörder sich bedroht fühlt«, fuhr Theringer fort, »wird er wahrscheinlich weitermorden. Und wenn er glaubt, es mit jemandem zu tun zu haben, der ihm ebenso gefährlich ist wie Annie Gander – dann werden wir vielleicht einen neuen Mordversuch erleben. Habe ich recht?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wollen Sie es feststellen?«
    »Was soll das heißen?«
    »Na, na, seien Sie nicht so begriffsstutzig! Wenn Sie meinen, daß Ihr Chef ein viel zu netter Typ sei, um einen Mord zu begehen warum es nicht ein für allemal beweisen? Liefern Sie ihm eine Person, die ihm Sorgen bereitet, die er noch dringender loswerden möchte als Annie Gander. Ich spreche von einem Köder, lieber Mann. Wissen Sie, was ein Köder ist?«
    »Einen Augenblick. Wenn Sie dabei an mich gedacht haben –«
    »Eigentlich habe ich nicht an Sie gedacht. Anfangs wären Sie ein schöner, frischer Köder gewesen, aber jetzt haben Sie schon ein bißchen zu stinken begonnen. Nein, ich dachte nicht an Sie, Davy. Ich dachte an Willie.«
    »An Willie Shenk?«
    »Richtig. Ich fragte mich soeben, wie Ihr Chef auf Willie reagieren würde. Er muß von seiner Existenz wissen, falls er Annie gekannt hat. Und wenn Willie sich entschließt, dort fortzufahren, wo Annie aufgehört hat.«
    Dave nickte verständnisvoll, dann stutzte er plötzlich. »Daß ich Sie nicht

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