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Das Graveyard Buch

Titel: Das Graveyard Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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weißes Hemdkleid. Ihr Haar war mausgrau und lang und ihr Gesicht hatte koboldhafte Züge – ein schi e fes Lächeln, das zu bleiben schien, egal, was sie sonst mit ihrem Gesicht machte.
    »Warst du eine Selbstmörderin?«, fragte er sie. »Hast du einen Groschen gestohlen?«
    »Hab nie nix gestohlen«, sagte sie. »Nicht mal ein T a schentuch. Überhaupt, die Selbstmörder sind da drüben, auf der anderen Seite der Weißdornhecke, und die Ga l genvögel sind dort unter dem Brombeergebüsch ve r scharrt. Der eine war ein Falschmünzer, der andere ein Raubritter, behauptet er wenigstens, ich meine aber, dass er nur ein gemeiner Wegelagerer gewesen ist.«
    »Aha«, sagte Bod. Dann kam ihm eine Ahnung und er fragte vorsichtig: »Hier soll auch eine Hexe begr a ben sein.«
    Sie nickte. »Ertränkt, verbrannt und begraben, nicht mal ein Stein markiert die Stelle.«
    »Man hat dich ertränkt und dann noch ve r brannt?«
    Sie setzte sich neben ihn auf den Komposthaufen und hielt sein schmerzendes Bein mit ihren eisigen Händen. »Im Morgengrauen sind sie zu meiner kleinen Kate g e kommen, ich war noch gar nicht richtig wach, und haben mich auf den Dorfanger gezerrt. ›Du bist eine Hexe‹, schreien sie alle, diese feisten, frisch gewaschenen Schweinsgesichter, geschrubbt wie die rosa Schweine am Markttag. Einer nach dem anderen stehen sie auf und lügen das Blaue vom Himmel herunter, erzählen von Milch, die sauer wird, oder von Pferden, die zu lahmen anfangen. Zum Schluss meldet sich Mistress Jemima, die Dickste von allen mit dem rosasten Gesicht, und erzählt, dass S o lomon Porritt sie jetzt schneidet und stattdessen ums Waschhaus herumstreicht wie die Wespe um den H o nigtopf, und daran ist bloß meine Zauberei schuld, der arme Kerl muss verhext worden sein. Also binden sie mich an den Schandstuhl und stellen mich neben den E n tenteich. Wenn ich eine Hexe bin, sagen sie, brauche ich keine Angst vor dem Wasser haben, dann würde ich nicht ertrinken. Wenn ich aber keine bin, dann würde ich es spüren. Und der Vater von Mistress Jemima gibt j e dem noch eine Silbermünze, damit sie den Schandstuhl auch recht lang in das modrige grüne Wasser halten, d a mit sie sehen, ob mir die Puste ausgeht.«
    »Und, ist sie dir ausgegangen?«
    »Und ob, die Lungen bis oben hin voll mit Wasser. Das war’s dann.«
    »Oh«, sagte Bod. »Dann warst du also gar keine H e xe.« Das Mädchen schaute ihn mit funkelnden Geiste r augen an und lächelte zweideutig. Sie sah immer noch aus wie ein Kobold, aber jetzt war sie ein verteufelt hübscher Kobold. Mit so einem Lächeln, dachte Bod, brauchte sie keine Hexenkünste, um Solomon Porritt den Kopf zu ve r drehen. »Unfug, natürlich war ich eine Hexe. Das h a ben sie gemerkt, als sie mich vom Schandstuhl losg e macht und auf dem Anger hingestreckt hatten, zu neun Zehnteln tot und ganz mit Entengrütze und stinkendem Teichmoder b e deckt. Da kam ich nämlich wieder zu mir und hab jeden da auf dem Dorfrasen verflucht, dass ke i ner Ruhe finden soll in seinem Grab. Ich war selber übe r rascht, wie leicht mir der Fluch über die Lippen kam, es war wie beim Ta n zen, wenn die Füße die Schritte zu einer Melodie aufne h men, die man noch nie gehört hat, und man bis zum Mo r gengrauen tanzt.« Sie stand auf, wirbelte herum und trat hierhin und dor t hin und ihre nackten Füße schimmerten im Mondlicht. »So habe ich sie verflucht mit dem letzten gu r gelnden Atemzug voller Teichwasser. Dann hauchte ich aus. Sie haben mich auf dem Anger verbrannt, bis nichts mehr übrig war als ein paar verkohlte Reste , und dann h a ben sie mich in ein Loch im hintersten Winkel des Friedhofs gestopft, ohne einen Grabstein mit meinem N a men drauf.« Erst jetzt hielt sie in ihrer Erzählung inne und schien einen Auge n blick lang nachdenklich.
    »Ist irgendeiner von denen hier auf dem Friedhof b e graben?«, wollte Bod wissen.
    »Nicht ein Einziger«, sagte das Mädchen mit einem Zwinkern. »Denn am Samstag darauf, nachdem sie mich ertränkt und geröstet hatten, wurde ein Teppich aus Lo n don in Meister Porringers Haus geliefert. Es war ein fe i ner Teppich. Aber es stellte sich heraus, dass dieser Te p pich aus mehr bestand als aus fester Wolle und guter Webkunst, denn er trug die Pest in seinem Muster. Und schon am Montag spuckten fünf Dorfbewohner Blut, und ihre Haut war so schwarz geworden wie meine, als man mich aus dem Scheite r haufen geklaubt hat. Nach einer Woche war fast das ganze Dorf hinweggerafft,

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