Das Graveyard Buch
wenn’s recht ist.«
»Hattest du einen Beruf«, wollte Bod wissen, »ich meine, als du noch keine Hexe warst?«
»Ich hab Wäsche gewaschen«, sagte das tote Mä d chen noch, dann flutete das Sonnenlicht über den Weißdorn und Bod war wieder allein.
Es war neun Uhr morgens und auf dem Friedhof schliefen jetzt alle. Doch Bod wollte wach bleiben, schließlich hatte er einen Plan. Er war acht Jahre alt und hatte keine Angst vor der Welt da draußen.
Kleider. Er brauchte Kleider. Er wusste, dass das, was er normalerweise anhatte, das graue Laken, das er u m gewickelt hatte, nicht das Richtige war. Für den Friedhof passte es, es hatte die Farbe der Grabsteine und der Schatten. Aber wenn er sich in die Welt je n seits der Friedhofsmauern wagen wollte, musste er sich anpassen.
In der Krypta unter der alten Kapelle lagen ein paar a l te Kleider herum. Aber dort traute er sich nicht hin, schon gar nicht bei Tag. Gegenüber Mr und Mrs Owens hätte er sich rechtfertigen können, aber nicht gegenüber Silas; der bloße Gedanke an dessen dunkle Augen, in denen Zorn oder, schlimmer noch, Enttäuschung glühte, erfüllte ihn mit Scham.
Am anderen Ende des Friedhofs stand ein Schuppen für den Friedhofswärter, ein kleiner grüner Bau, in dem es nach Motoröl roch. Drinnen rostete ein alter Rasenmäher unb e nutzt vor sich hin, außerdem lag altes Gartenwerkzeug herum. Seit der letzte Friedhofswärter in Rente g e gangen war, hatte man keine Verwendung mehr für den Schuppen. Die Pflege des Friedhofes oblag nun dem G e meinderat (der von April bis September einen Mann b e auftragte, einmal im Monat das Gras zu mähen und die Wege zu harken) und dem Verein der Freunde des Frie d hofs.
Ein schweres Vorhängeschloss sicherte die Tür des Schuppens, doch Bod hatte schon vor langer Zeit das lose Brett in der Rückwand entdeckt. Manchmal, wenn er für sich sein und in Ruhe nachdenken wollte, zog er sich in den Schuppen zurück. Seit vielen Ja h ren hingen innen an der Tür eine braune Gärtnerjacke und eine alte grünfl e ckige Jeans. Die Jeans war zwar viel zu groß für ihn, aber er krempelte einfach die Hosenbeine hoch, bis die Füße herausschauten. Als Gürtel verwendete er Garte n zwirn, den er sich um die Taille wickelte. In einer Ecke stand auch ein Paar Stiefel. Er probierte sie an, aber sie waren so groß und so mit Erde und Zement verkrustet, dass er damit kaum vom Fleck kam, und wenn er einen Schritt machte, blieben die Stiefel auf dem Hüttenboden stehen. Schlie ß lich schob er nur die Jacke durch die Öf f nung in der Schuppenwand, zwängte sich dann selbst hindurch und zog sie draußen an. Wenn er die Ärmel hochkre m pelte, ging es ganz gut. Er steckte die Hände in die großen T a schen der Jacke und kam sich vor wie ein feiner Herr.
Bod ging zur Hauptpforte des Friedhofes und schaute durch die Gitterstäbe. Draußen auf der Str a ße fuhr ein Bus vorbei; und da waren Autos und L ä den und Lärm. Und hinter ihm eine kühle grüne Wand aus Bäumen und Efeu: sein Zuhause.
Mit pochendem Herzen trat Bod hinaus in die Welt.
Abanazer Böiger hatte in seinem Leben schon so ma n chen seltsamen Typen gesehen. Wenn du so einen Laden hättest wie Abanazer, dann würdest du sie auch zu sehen kriegen. Der Laden im Gewirr der Al t stadtgassen war teils Antiquitätenladen, teils Tröde l laden, teils auch Pfandleihe (wobei Abanazer selbst nicht wusste, wo das eine begann und das andere au f hörte) und zog schräge Typen an, von denen die einen kaufen wollten und die anderen verkaufen mussten. Über Abanazers Ladentisch wurde gekauft und ve r kauft, aber noch bessere Geschäfte machte er unter dem Ladentisch und im Hinterzimmer, wo er Waren annahm, die nicht ganz ehrlich erworben worden w a ren und die er diskret weiterverschob. Sein Geschäft war wie ein Eisberg. An der Oberfläche war nur der verstaubte Altstadtladen zu sehen. Der Rest war a b getaucht und genau so wollte Abanazer Böiger es auch.
Abanazer Böiger trug eine Brille mit dicken Gläsern und hatte immer einen leicht angeekelten Au s druck, so als hätte er gerade gemerkt, dass die Milch in seinem Tee geronnen war, und bekäme den säue r lichen Geschmack nicht mehr aus dem Mund. Diese Miene kam ihm gut zupass, wenn jemand ihm etwas verkaufen wollte. »Also ehrlich«, sagte er dann mit säuerlichem Gesicht, »das ist eigentlich überhaupt nichts wert. Ich gebe Ihnen aber trotzdem etwas d a für, weil es einen Erinnerungswert hat.« Man konnte sich
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