Das Graveyard Buch
verfolgen.
Bod nickte zustimmend.
Und nicht nur Übeltäter, dachte er.
Er las die übrigen Ausführungen und prägte sie sich ins Gedächtnis ein, so gut er konnte. Dann ging er zur Kapelle, wo Miss Lupescu ihn schon mit einer Fleisc h pastete und einer großen Tüte Pommes frites erwartete, die sie an einem Imbiss-Stand unten in der Stadt gekauft ha t te. Außerdem lag ein weiterer Stapel von mit roter Tinte beschriebenen Listen bereit.
Die beiden teilten sich die Fritten und ein- oder zwe i mal lächelte Miss Lupescu sogar.
Ende des Monats kam Silas wieder zurück. In der linken Hand hatte er seine schwarze Reisetasche, den rechten Arm hielt er steif. Aber es war Silas, und Bod war froh, ihn wiederzusehen. Seine Freude wurde noch größer, als Silas ihm ein Geschenk brachte, ein kleines Modell der Golden Gate Bridge in San Fra n cisco.
Es ging schon auf Mitternacht zu und es war immer noch nicht ganz dunkel. Die drei saßen oben auf dem Berg und blickten auf die Lichter der Stadt.
»Ich vermute, dass alles gut gelaufen ist, während ich weg war«, sagte Silas.
»Ich habe eine Menge gelernt«, sagte Bod, immer noch mit dem Brückenmodell in der Hand. Er zeigte zum Nachthimmel. »Das da ist der große Bär und das da ihr Sohn, der kleine Bär. Und dazwischen schlä n gelt sich Draco, der Drache.«
»Sehr gut«, sagte Silas.
»Und du«, fragte Bod, »hast du draußen auch etwas gelernt?«
»Oh ja«, antwortete Silas, ohne weiter darauf einzug e hen.
»Ich auch«, sagte Miss Lupescu steif, »ich habe auch etwas gelernt.«
»Sehr schön«, sagte Silas. Eine Eule rief aus den Ä s ten einer Eiche. »Mir sind Gerüchte zu Ohren geko m men, dass ihr beide vor ein paar Wochen weit in die Feme g e schweift seid, wohin ich euch nicht hätte folgen können. Ich würde zur Vorsicht raten, aber das Ghulvolk hat, a n ders als manch andere, ein kurzes Gedäch t nis.«
Bod erwiderte: »Schon gut. Miss Lupescu hat auf mich aufgepasst. Ich war nie in Gefahr.«
Miss Lupescu schaute Bod an und ihre Augen leucht e ten, dann schaute sie zu Silas.
»Es gibt noch so viel zu lernen«, seufzte sie. »Vie l leicht komme ich nächstes Jahr im Hochsommer wi e der und gebe dem Jungen wieder Schulstunden.«
Silas schaute Miss Lupescu an und hob ganz kurz die Augenbraue. Dann schaute er zu Bod hinüber.
»Das wäre schön«, sagte Bod.
Kapitel vier
Der Grabstein der Hexe
Ganz am Rand des Friedhofs lag eine Hexe begraben, das war allgemein bekannt. Solange Bod zurückdenken konnte, hatte Mrs Owens ihm eingeschärft, sich von di e sem Winkel der Welt fernzuhalten.
»Warum?«, hatte er gefragt.
»Is nicht gesund für ein lebendes Wesen«, hatte Mrs Owens gesagt. »Die Luft dahinten ist verpestet, es ist praktisch ein Sumpf. Du holst dir den Tod.«
Mr Owens Erklärung war ausweichend und weniger bildhaft. »Das ist kein guter Ort«, war alles, was er dazu sagte.
Der Friedhof endete am Fuß der Westseite des Hügels bei einem alten Apfelbaum. Dort verlief ein rostig bra u ner Gitterzaun, der mit schmalen, ebenfalls rostigen Spi t zen versehen war. Dahinter lag ein Streifen Ödland, wo Bren n nesseln und Unkraut, Brombeersträucher und anderes Do r nengestrüpp wucherten. Und da Bod im Großen und Ga n zen ein folgsamer Junge war, zwängte er sich nicht durch den Zaun hindurch, doch ging er immer wieder einmal dor t hin und schaute hinüber. Er wusste, dass man ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, und das verwirrte ihn.
Er kehrte um und ging zur Friedhofskapelle in der N ä he des Friedhofseingangs zurück, wo er sich auf die Bank setzte und wartete, bis es dunkel wurde. Als die Aben d dämmerung purpurrot verglühte, drang vom Turm her ein Geräusch wie das Flattern von schwerem Samt. Silas ve r ließ seinen Schlafplatz im Turm und kletterte kopfüber herunter.
»Was hat es mit der äußersten Ecke des Friedhofs auf sich?«, fragte Bod. »Hinter Harrison Westwood, dem B ä cker der Pfarrei, und seinen Frauen Marion und Joan?«
»Warum fragst du?«, fragte ihn sein Vormund und wischte mit bleichen Fingern den Staub von seinem schwarzen Anzug.
Bod zuckte die Schultern. »Nur so.«
»Das ist ungeweihter Boden«, sagte Silas. »Weißt du, was das heißt?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Bod.
Silas überquerte den Weg, ohne auch nur ein trock e nes Blatt zu stören, und setzte sich neben Bod auf die Bank. »Die einen«, begann er mit seiner samtenen Sti m me, »glauben, dass alles Land heilig ist. Dass es
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