Das Graveyard Buch
zusammenfanden.
Bod sah Abanazer Böiger mit Miss Borrows, seiner früheren Lehrerin, tanzen. Die Lebenden tanzten mit den Toten. Aus den Paartänzen wurden lange Reihen von Tanzenden, die im Takt einherschritten, stamp f ten und die Beine schwangen (La-la-la-hump! La-la-la-hump!), ein Tanz, den es schon vor mehr als tausend Jahren g e geben hatte.
Nun stand er in einer Reihe mit Liza Hempstock. Er fragte:
»Wo kommt die Musik her?«
Sie zuckte die Achseln.
»Wer macht, dass das alles stattfindet?«
»Es findet immer statt«, sagte sie. »Die Lebenden eri n nern sich vielleicht nicht, aber wir erinnern uns immer …« Und sie brach ab und rief aufgeregt: »Schau!«
Bod hatte noch nie ein richtiges Pferd gesehen, er kannte Pferde nur aus Bilderbüchern. Das weiße Pferd, das nun auf sie zutrabte, war ganz anders, als er sich ein Pferd vorgestellt hatte. Es war viel größer und hatte ein langes ernstes Gesicht. Auf seinem blanken Rücken saß eine Frau in einem langen grauen Kleid, das im Deze m bermond schimmerte wie ta u benetzte Spinnweben.
Die Dame in Grau hielt ihr Pferd auf dem Platz an, glitt von seinem Rücken und stand nun vor ihnen a l len, den Lebenden und den Toten.
Sie machte einen Knicks.
Und alle, Männer wie Frauen, verbeugten sich oder machten einen Knicks und der Tanz begann von Ne u em.
»Die Graue Dame lädt uns ein,
Beim Danse Macabre dabei zu sein.«,
sang Liza Hempstock, bevor der wirbelnde Tanz sie von Bod davontrug. Alle stampften zur Musik, drehten sich, schwangen die Beine hoch und die Dame tanzte mit ihnen, machte die Schritte, drehte sich und stieß die Füße vor voller Eifer. Sogar das weiße Pferd wiegte den Kopf und bewegte sich zur Musik.
Der Tanz wurde schneller und mit ihm die Tänzer. Bod geriet außer Atem, doch er konnte sich nicht vorste l len, dass dieser Tanz jemals enden würde, der Danse Macabre, der Tanz der Lebenden und der T o ten, der Tanz mit dem Tod. Bod lächelte und alle anderen läche l ten auch.
Hin und wieder erhaschte er einen Blick auf die Dame im grauen Gewand, während er sich drehte und stampfte und durch den Stadtpark tanzte.
Alle, alle tanzen, dachte Bod. Doch kaum hatte er es gedacht, bemerkte er, dass er sich irrte. Im Schatten des alten Rathauses stand ein Mann, ganz in Schwarz gekle i det. Er tanzte nicht, er beobachtete sie.
Bod fragte sich, ob Sehnsucht auf Silas’ Miene lag oder Kummer oder irgendetwas anderes, doch das G e sicht seines Vormunds war unergründlich.
Er rief ihm laut zu: »Silas!«, und hoffte, dass er Silas dazu bewegen konnte, mitzutanzen und auch so viel Spaß zu haben wie sie, doch als der seinen Namen hörte, trat er noch tiefer in den Schatten und war nicht mehr zu sehen.
»Letzter Tanz!«, rief jemand und die Musik steigerte sich kreischend zu einem getragenen, feierlichen Finale.
Jeder Tanzende suchte sich einen Partner, Lebende wie Tote. Bod streckte die Hand aus und fühlte, wie se i ne Finger ihre Finger fanden, und blickte in ihre grauen A u gen – die Frau im Spinnwebkleid.
Sie lächelte ihn an.
»Hallo, Bod«, sagte sie.
»Hallo«, sagte er und tanzte mit ihr. »Ich weiß Ihren Namen nicht.«
»Namen sind nicht so wichtig«, sagte sie.
»Ihr Pferd gefällt mir. Es ist so groß! Ich hätte nie g e dacht, dass Pferde so groß sein können.«
»Es ist so sanft, dass es den Mächtigsten von euch auf seinem breiten Rücken trägt, und stark genug auch für den Kleinsten.«
»Darf ich auf ihm reiten?«
»Eines Tages«, gab sie ihm zur Antwort und ihr Spinnwebkleid schimmerte silbern, »eines Tages darfst du es. Jeder darf es.«
»Versprochen?«
»Ja, versprochen.«
Und damit war der Tanz zu Ende. Bod verbeugte sich tief vor seiner Tanzpartnerin und erst jetzt fühlte er sich so erschöpft, als hätte er stundenlang getanzt. Alle Mu s keln taten ihm weh und er rang nach Luft.
Irgendwo begann eine Turmuhr zu schlagen. Bod zäh l te mit, es waren zwölf Schläge. Er fragte sich, ob er zwölf oder vierundzwanzig Stunden oder übe r haupt nicht in der Zeit getanzt hatte.
Er streckte sich und schaute sich um. Die Toten waren verschwunden und auch die Dame in Grau. Nur die L e benden waren noch da. Sie schickten sich an heimzug e hen und verließen den Platz, müde und steif, so als wären sie aus tiefem Schlaf erwacht und könnten sich noch nicht richtig bewegen.
Der ganze Platz war mit weißen Blüten übersät, als wenn es hier eine Hochzeit gegeben hätte.
Als Bod am folgenden Nachmittag in
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