Das Graveyard Buch
Littlejohns gibt es reife Haselnüsse«, sagte Tom und lächelte, als wollte er einen Schlag abmildern.
Bod bedankte sich. Er lief durch den Regen hinab in den unteren Teil des Friedhofs bis zur alten Kape l le.
Die Tür war offen und Silas, der weder für Regen noch für Tageslicht eine Vorliebe hatte, stand drinnen im Scha t ten.
»Ich habe gehört, dass du mich suchst«, sagte Bod.
»Ja«, antwortete Silas. »Es sieht so aus, als hättest du dir die Hose zerrissen.«
»Ich bin gerannt«, sagte Bod. »Na ja, ich hatte Streit mit Thackeray Porringer. Ich wollte Robinson Crusoe zu Ende lesen. In dem Buch geht es um einen Mann auf e i nem Schiff – damit kann man zur See fahren, das ist eine ries i ge Pfütze – und dieses Schiff strandet auf einer Insel, das ist ein Ort mi t ten in der See, auf dem man stehen kann, und –«
»Bod, es ist jetzt elf Jahre her«, unterbrach ihn Silas. »Elf Jahre ist es her, seit du zu uns gekommen bist.«
»Das wird wohl stimmen, wenn du es sagst.«
Silas schaute auf sein Mündel. Bod war zu einem schlaksigen Jungen herangewachsen. Sein mausgra u es Haar war mit der Zeit dunkler geworden.
In der alten Kapelle war es nun nachtschwarz.
»Ich glaube«, begann Silas, »es ist an der Zeit, dass wir darüber sprechen, wo du herkommst.«
Bod atmete tief durch. »Es muss nicht jetzt sein«, sa g te er, »wenn du nicht willst.« Er sagte es so leich t hin, wie er konnte, aber das Herz pochte ihm mächtig in der Brust.
Stille. Nur das Prasseln der Regentropfen und das Rauschen des Wassers in der Dachrinne waren zu hören. Eine so angespannte Stille, dass Bod dachte, es würde ihn zerreißen.
»Du weißt, dass du anders bist«, sagte Silas schlie ß lich. »Dass du zu den Lebenden gehörst. Wir haben dich aufgenommen – die Friedhofsbewohner haben dich hier aufgenommen – und ich war einverstanden damit, dein Vormund zu sein.«
Bod schwieg.
Silas fuhr mit seiner samtenen Stimme fort: »Du ha t test Eltern. Und eine ältere Schwester. Sie wurden umg e bracht. Und ich glaube, dass auch du umg e bracht werden sollst. Dass das noch nicht passiert ist, verdankst du e i nem glücklichen Zufall und dem Ei n greifen der Owens.«
»Und dir«, sagte Bod. Er wusste aus der Erzählung mehrerer Leute, von denen einige sogar selbst dabei g e wesen waren, was in jener Nacht geschehen war. Es war eine bedeutsame Nacht, damals auf dem Frie d hof.
Silas fuhr fort. »Der Mann da draußen, der deine F a milie umgebracht hat, sucht dich, glaube ich, i m mer noch, und er will dich immer noch umbringen.«
Bod zuckte die Schultern. »Na und«, sagte er. »Es geht doch nur um den Tod. Meine besten Freunde sind alle tot.«
»Ja.« Silas zögerte. »Sie sind tot. Und die meisten h a ben mit der Welt abgeschlossen. Aber du nicht. Du lebst, Bod. Das heißt, du hast unendliche Möglichke i ten. Du kannst alles anfangen, alles tun, alles erträ u men. Wenn du die Welt veränderst, dann verändert sich die Welt. Unendliche Möglichkeiten. Potenzial. Wenn du tot bist, ist alles dahin. Aus und vorbei. Du hast getan, was du getan hast, du hast geträumt, was du geträumt hast, du hast dein Zeichen hinterlassen. Du wirst vielleicht hier begraben und du wirst vielleicht zum Wiedergänger we r den. Aber dein Potenz i al ist dann zu Ende.«
Bod dachte darüber nach. Es schien irgendwie zu stimmen, obwohl ihm Ausnahmen einfielen – seine E l tern zum Beispiel, die ihn adoptiert hatten. Aber zw i schen den Lebenden und den Toten gab es einen Unte r schied, das wusste er, auch wenn seine Symp a thie bei den Toten war.
»Was ist mit dir?«, fragte er Silas.
»Was mit mir ist?«
»Naja, du lebst doch nicht. Und trotzdem reist du he r um und tust irgendwas.«
»Ich«, sagte Silas, »bin, was ich bin, und nichts we i ter. Ich lebe zwar nicht, das stimmt, aber wenn ich an mein Ende komme, dann höre ich einfach auf zu sein. Wir von unserer Art sind oder wir sind nicht . Wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nicht so recht.«
Silas seufzte. Der Regen hatte aufgehört und das durch die Wolken gedämpfte Licht war nun einer klaren Dä m merung gewichen.
»Bod«, sagte Silas, »es gibt viele Gründe, warum es wichtig ist, dass wir dich hierbehalten. Hier bist du s i cher.«
»Der Mann, der meine Familie umgebracht hat«, set z te Bod an, »der Mann, der auch mich umbringen will, bist du sicher, dass er immer noch da draußen ist?« Bod hatte schon eine Weile darüber nachgedacht und er wus s te, was er
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