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Das Graveyard Buch

Titel: Das Graveyard Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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wollte.
    »Ja, er ist immer noch da draußen.«
    »Dann«, sagte Bod und sprach das Unsagbare aus, »will ich zur Schule gehen.«
    Silas war unerschütterlich. Die Welt hätte unterg e hen können, er hätte nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
    Doch nun stand ihm der Mund offen und seine Stirn legte sich in Falten.
    »Was?«
    »Ich habe auf dem Friedhof viel gelernt«, sagte Bod. »Ich kann für andere Augen unsichtbar werden, ich kann Orte heimsuchen. Ich weiß, wie man eine Ghulpforte öffnet, und ich kenne mich am Sterne n himmel aus. Aber da draußen wartet eine Welt auf mich mit Meeren und Inseln und Schiffen und Schif f brüchen und Schweinen. Ich meine, da gibt es so viele Dinge, die ich nicht kenne. Meine Lehrer hier haben mir viel beigebracht, aber ich muss noch mehr lernen. Eines Tages muss ich da dra u ßen überleben.«
    Silas schien unbeeindruckt zu sein. »Kommt nicht i n frage. Hier können wir dich beschützen. Aber wie sollen wir dich da draußen beschützen? Da draußen kann dir alles Mögliche passieren.«
    »Stimmt«, gab Bod zu. »Das ist die Sache mit dem Potenzial, von der du vorhin gesprochen hast.« Er schwieg einen Augenblick. Dann sagte er: »Jemand hat meine Mutter, meinen Vater und meine Schwester umg e bracht.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Ein Mann?«
    »Ein Mann.«
    »Das heißt, du hast die falsche Frage gestellt.«
    Silas hob eine Augenbraue. »Wie das?«
    »Also«, sagte Bod, » wenn ich hinausgehe in die Welt, lautet die Frage nicht, wer mich vor ihm b e schützen wird.«
    »Nein?«
    »Nein. Die Frage lautet, wer ihn vor mir b e schützt.«
    Zweige kratzten an den hohen Fenstern, als ob sie h e reingelassen werden wollten. Mit einem Fingern a gel, der so scharf war wie eine Rasierklinge, schnippte Silas ein unsichtbares Staubkorn vom Ärmel seiner Jacke. »Wir werden eine Schule für dich finden mü s sen.«
    Zuerst bemerkte niemand den Jungen. Ja sie bemer k ten nicht einmal, dass sie ihn nicht bemerkten. Er saß ziemlich weit hinten in der Klasse und sagte wenig, a u ßer wenn er direkt gefragt wurde, und auch dann waren seine Antworten knapp, leicht zu vergessen, farblos. In der Wahrnehmung und in der Eri n nerung verblasste er.
    »Glauben Sie, dass seine Familie religiös ist?«, fragte Mr Kirby im Lehrerzimmer. Er war gerade dabei, Aufsä t ze zu benoten.
    »Wessen Familie?«, fragte Mrs McKinnon.
    »Die von Owens aus der 8b«, sagte Mr Kirby.
    »Der große, sommersprossige Junge?«
    »Nein, ich glaube nicht. Er ist eher mittelgroß.«
    Mrs McKinnon zuckte die Schultern. »Was ist mit ihm?«
    »Schreibt alles mit der Hand«, sagte Mr Kirby. »Hat eine schöne Handschrift und wie gestochen.«
    »Und deshalb soll er religiös sein …?«
    »Er sagt, sie hätten daheim keinen Computer.«
    »Und?«
    »Er hat auch kein Telefon.«
    »Ich verstehe trotzdem nicht, warum er deshalb relig i ös sein soll«, sagte Mrs McKinnon, die sich aufs Häkeln verlegt hatte, seit im Lehrerzimmer nicht mehr geraucht werden durfte. Sie saß da und häkelte an einer Babyd e cke für niemand Bestimmtes.
    Mr Kirby zuckte die Schultern. »Er ist ein schlaues Bürschchen«, sagte er. »Aber da sind Dinge, die er ei n fach nicht weiß. Und in Geschichte wirft er kleine erfund e ne Details ein, lauter Zeug, das in keinem Buch steht …«
    »Was für Zeug?«
    Mr Kirby setzte eine Note unter Bods Aufsatz und le g te ihn auf den Stapel. Ohne ein konkretes Beispiel schien die ganze Angelegenheit zu vage und unwic h tig. »Zeug halt«, sagte er und vergaß die ganze Sache. Genauso wie er vergaß, Bods Namen auf die Klasse n liste zu setzen. Genauso wie Bods Name auch nicht in der Datenbank der Schule zu finden war.
    Der Junge war ein Musterschüler, schnell zu übers e hen und schnell vergessen. Er verbrachte viel von seiner freien Zeit hinten im Klassenzimmer, wo Regale mit alten T a schenbüchern standen, oder in der Schulbibliothek, einem großen Saal voller Bücher und mit alten Sesseln, wo er saß und Bücher ve r schlang wie andere Schüler ihr Pausenbrot.
    Auch die anderen Kinder vergaßen ihn. Nicht, wenn er vor ihnen saß, dann erinnerten sie sich an ihn. Aber s o bald der junge Owens aus den Augen war, war er schon aus dem Sinn. Dann dachten sie nicht mehr an ihn. Das mussten sie auch nicht. Hätte man die Schüler der 8b g e beten, die Augen zu schließen und die Namen aller fün f undzwanzig Schüler und Schülerinnen der Klasse zu nennen, wäre Owens nicht auf der Liste gewesen. Seine Gegenwart war fast

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