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Das grobmaschige Netz - Roman

Das grobmaschige Netz - Roman

Titel: Das grobmaschige Netz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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mehr.
    Andererseits ... das andere auch nicht.
    Glich sich das vielleicht aus?
    Glich sich vielleicht das ganze Leben aus?
    Es war jetzt schwer, das Gleichgewicht wiederzufinden.
    Wer du in Wirklichkeit bist, zeigt sich in den schweren Stunden.
    Draußen kamen die Wagen näher. Die Klappe wurde geöffnet und das Frühstückstablett hereingeschoben. Dann schloss die Klappe sich wieder. Es war sieben, er hatte fast acht Stunden geschlafen, zum ersten Mal seit Wochen eine ganze Nacht hindurch. Und heute ...
    Was war denn heute?
    Es fiel ihm erst nach einigen Sekunden ein.
    Heute war der erste Verhandlungstag.
    Er biss ins Brot und dachte nach. Was empfand er nun?
    Eine Art träger Spannung?
    Den Wunsch, es hinter sich zu bringen.
    Oder vielleicht einfach nur ... nichts?

10
    Der Gerichtssaal wirkte fast schon gotisch. Seine hohe, vertikale Anordnung ließ ihn an den Anatomiesaal in Osterbrügge denken. Auf drei Seiten waren terrassenförmig die Zuschauerbänke angebracht, auf der vierten saßen Richter und Schöffen erhöht hinter braunschwarzen Schranken. Das spärliche natürliche Licht, das die Fensterrosette unterhalb der gewölbten Decke hereinließ, verstärkte zweifellos den Eindruck einer lotrecht abfallenden Weltordnung, wie sie irgendwann um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts offenbar dem Baumeister vorgeschwebt war.

    Dieser Gerichtssaal war bis zum letzten Platz besetzt.
    Die größte Gruppe, vielleicht an die zweihundert Personen, bildeten natürlich die Zuschauer auf den hinteren Bänken. Die meisten waren Schüler des Bunge-Gymnasiums. Mitter ging auf, dass er die Ursache für den Jahresrekord im unentschuldigten Fehlen war.
    Auf den Zuhörerbänken saß auch die Presse. Die Journalisten saßen allesamt in der ersten Reihe, hatten die Beine übereinandergeschlagen und ihre Notizblöcke auf den Knien liegen. Oder ihre Skizzenblöcke ... ihm fiel ein, dass Fotografieren hier verboten war. Der große Zustrom überraschte ihn ... ein gutes Dutzend; das konnte eigentlich nur bedeuten, dass das ganze Land sich für seinen Fall interessierte. Dass er keine bloße Provinzangelegenheit darstellte.
    Unterhalb der Zuschauerbänke saß er zusammen mit seinem Verteidiger Rüger, dessen Schnupfen langsam besser wurde. Ferner waren dort Richter Havel, Staatsanwalt Ferrati samt Beisitzern sowie ein paar andere Juristen und Gerichtsdiener.
    Und die Jury. Die bestand aus zwei Männern und vier Frauen, die alle hinter einer zusätzlichen Schranke rechts vom Richter saßen und wohlwollend aussahen; mit Ausnahme des zweiten von rechts, einem Mann mit sehr geradem Rücken, Armprothese und gerunzelter Stirn.
    Außerdem entdeckte er eine dicke Schmeißfliege. Normalerweise hielt sie sich oben an der Decke auf, genau über dem Sitz des Staatsanwalts, aber ab und zu unternahm sie auch Ausflüge durch den Saal, die sich fast ausnahmslos auf eine der beiden Frauen in der Jury richteten, die neben dem Stirnrunzler saßen. Immer wieder steuerte die Fliege deren Nase an, und obwohl sie jedes Mal von neuem energisch verjagt wurde, machte sie starrsinnig und mit niemals nachlassender Energie immer wieder einen Versuch. Ihr leises Summen bildete einen angenehmen Kontrast zur schrillen Stimme
des Staatsanwaltes ... ungefähr wie ein Cello und ein Cembalo.
    Ansonsten war dieser Tag eine ungeheuer triste Angelegenheit.
    Es fing damit an, dass alle sich mehrmals erheben und wieder setzen mussten, während Richter und Jury ihre Plätze einnahmen. Danach verlas der Richter die Anklage, und Rüger erklärte seinen Mandanten für unschuldig. Dann kam der Staatsanwalt zu Wort, und er redete ununterbrochen zwanzig Minuten und kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte, Janek Mattias Mitter, 46 Jahre alt, geboren in Rheinau, seit sechsundzwanzig Jahren wohnhaft in Maardam, seit 1973 als Lehrer für Philosophie und Geschichte am Bunge-Gymnasium tätig, irgendwann in den frühen Morgenstunden des 5. Oktobers seine Ehefrau Eva Ringmar, 38 Jahre, geboren in Leuwen, seit 1990 in Maardam wohnhaft, bis zu ihrem Tod tätig als Lehrerin für Englisch und Französisch an besagtem Gymnasium, vorsätzlich ermordet oder fahrlässig getötet habe, indem er sie in ihrer gemeinsamen Wohnung in der Klostergasse 42 in der Badewanne ertränkt hatte. Die Tat sei unter Alkoholeinfluss begangen worden, doch nichts, er wiederholte, nichts, spreche dafür, dass Mitter deshalb für seine Tat nicht zur Verantwortung gezogen werden könne. Die Anklage hatte vor, diese

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