Das grobmaschige Netz - Roman
Behauptung mit Hilfe einer überwältigenden Menge von technischen Beweisen, Expertisen und Zeugenaussagen zu untermauern, und am Ende würden die Jurymitglieder und alle anderen dermaßen von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein, dass das Gericht nur zu einem einzigen Ergebnis kommen könnte: Schuldig.
Mord.
Oder wenigstens Totschlag.
Danach hatte Rüger das Wort. Der putzte sich die Nase und erklärte während einer Stunde und zwölf Minuten, dass die
Anklage sich in jeder Hinsicht irre, dass sein Mandant seine Gattin durchaus nicht ermordet habe und dass man das ohne jeglichen Zweifel unter Beweis stellen werde.
Dann folgte die zweistündige Mittagspause. Die Fliege ließ von der Jury ab und hielt unter der Decke ein Nickerchen, alle anderen trotteten in würdevoller Haltung aus dem Saal. Ein Mädchen winkte Mitter von der Zuschauertribüne herunter, und er nickte ihr freundlich zu.
Er brauchte an die zehn Minuten, um im Keller des Gerichtsgebäudes seine Nudeln zu verzehren. Den Rest der Mittagspause verbrachte er auf einer Pritsche, von wo aus er einen feuchten Flecken an der Decke betrachtete, während er auf den Fortgang der Verhandlung wartete.
An diesem Nachmittag ging es nur um die so genannte technische Beweisaufnahme. Eine Reihe von Polizisten unterschiedlichen Rangs betraten den Zeugenstand, unter ihnen auch Van Veeteren ... außerdem ein Obduzent, ein Arzt, ein Gerichtsmediziner und ein gewisser Wilkerson. Er stotterte und bezeichnete sich als Toxikologiedozenten.
Die Zuschauerbänke waren nun nicht mehr so dicht besetzt. Vermutlich hatte Direktor Suurna Wind von der Sache bekommen. Die Presse war allerdings weiterhin vertreten, die Journalisten lehnten sich behaglich zurück. Vielleicht schlief dabei auch jemand ein, aber zumindest störte niemand durch Schnarchen.
Es war nicht so leicht, die Aussagen der Experten auf einen Nenner zu bringen. Ferrati und Rüger lieferten sich bittere Wortgefechte, ab und zu schob Richter Havel eine Ermahnung dazwischen, oder ein Jurymitglied wollte etwas über den Fund eines Hautfragmentes unter einem Fingernagel wissen.
Mitter selber brauchte nicht das Wort zu ergreifen, und als die Verhandlung um sechzehn Uhr vertagt wurde, hatte er
schon lange nicht mehr zugehört. Er sehnte sich nach drei Dingen: nach Einsamkeit, Stille und Dunkelheit.
Was die Frage anging, wer Eva Ringmar denn nun umgebracht hatte, so wussten alle ungefähr so viel wie die Schmeißfliege.
11
Rüger kam, als Mitter beim Frühstück saß.
»Ich muss mit Ihnen sprechen.«
»Ja?«
»Sie haben nicht noch eine Tasse?«
Mitter rief den Wärter, der durch die Klappe einen Becher Kaffee hereinreichte.
»Ihnen ist noch nichts eingefallen?«
»Nein.«
»Na gut.«
Rüger ließ sich auf einen Stuhl sinken. Stützte die Ellbogen auf und pustete auf den Kaffee.
»Ich möchte Sie bitten, sich ... Ihre Aussage noch einmal zu überlegen.«
Mitter kaute auf seinem Butterbrot herum und blickte seinen Anwalt fragend an.
»Wie meinen Sie das?«
»Sie müssen sich entscheiden, ob Sie aufgeben wollen oder nicht.«
Mitter schwieg. Dachte eine Weile nach. Vielleicht war das j a alles kein Wunder, eigentlich ...
»Wie ich Ihnen schon erklärt habe«, sagte Rüger nun, »ist es durchaus nicht nötig, dass der Angeklagte sich ausfragen lässt.«
»Sie haben gesagt, es sei ungewöhnlich, dass jemand ...«
Rüger nickte.
»Das kann schon sein, aber ich möchte Sie trotzdem darum bitten, sich die Sache zu überlegen. So, wie es jetzt aussieht, ändert es nichts an Ihren Chancen, wenn Sie nicht aussagen.«
»Wieso nicht?«
»Weil Sie nichts hinzuzufügen haben. Sie können ja nicht einmal in eigener Sache sprechen. Sie können nicht belegen, dass Sie sie wirklich nicht umgebracht haben. Das Einzige, was Sie sagen können, ist, dass Sie sich an nichts erinnern, und das ist nun wirklich keine überwältigende Aussage, das müssen Sie doch selber auch einsehen? Wir können in diesem Punkt nichts gewinnen, und dabei ist doch genau das der Punkt, um den sich alles dreht.«
Er legte eine Pause ein und trank einen Schluck Kaffee.
»Und ansonsten?«, fragte Mitter.
»Ansonsten ist dieser Kaffee das pure Nervengift. Ich begreife nicht, wieso die nicht endlich lernen ... ja ja, bleibt noch die Frage, ob Sie vor Gericht einen guten oder schlechten Eindruck machen werden.«
Mitter zündete sich eine Zigarette an und rieb sich die Bartstoppeln.
Der Anwalt fuhr fort: »Ja, darum geht es.
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