Das größere Wunder: Roman
es wäre, einer von ihnen zu sein und mit ihnen zu feiern.
Von Paris flog er nach Istanbul und von dort nach einem Tag weiter nach Stockholm, wo er den Zug nach Oslo nahm.
Sein erster Weg führte ihn in die Wohnung, die er angemietet hatte und in der sich noch immer nichts befand als der Tisch, auf dem seine römischen Relikte lagen. Er hinterließ einen Regenschirm, den er in Paris aus einem Schirmständer gestohlen hatte. Auf einem Zettel, den er daran befestigte, standen Datum, Ort und eine Beschreibung, wie der Schirm in seinen Besitz gelangt war.
»Das nächste Mal warnst du mich bitte, wenn du vorhast, länger wegzubleiben«, sagte Tic, den Kopf an seiner Brust.
Er hörte weniger, was sie sagte, als er es erahnte, weil sie in seine Brusthaare hinein murmelte.
»Wann kann es losgehen?« fragte er.
Sie hob den Kopf und schaute ihn fragend an.
»Ach Quatsch, mit dem Baumhaus, meine ich!«
»Jonas, ich habe weder die Zeit noch das Geld, dir einfach so ein Baumhaus hinzustellen, ich muss mich um echte Aufträge kümmern. Meine Eltern halten mich sowieso für verrückt und prophezeien mir das Schlimmste, sie sagen, das ist eine Schnapsidee, davon kann man nicht leben. Und vielleicht haben sie recht, es gibt nämlich wirklich nicht viele Leute, die Baumhäuser brauchen. Ich kann dir jedenfalls den Gefallen nicht tun, tut mir leid.«
»Es ist ein echter Auftrag.«
»Hör doch mit den Witzen auf!«
»Gib mir deine Kontonummer.«
Sie nannte ihm ihre Bankverbindung, und als er sich nicht rührte, fragte sie:
»Willst du sie dir nicht aufschreiben?«
»Hab sie mir gemerkt.«
»Ja, genau.«
An den nächsten Tagen unternahm sie alles, um Jonas ihre Heimatstadt näherzubringen. Sie schleifte ihn durch das Munch-Museum, die Nationalgalerie, zum Dom und durch die Karl Johans gate und die gesamte Altstadt, und anderntags standen sie gemeinsam auf dem Deck der Fram, die Amundsen in die Antarktis und zurück gebracht hatte. Zwischendurch warfen sie einander Blicke zu und machten, dass sie schnell in Tics Wohnung kamen.
Im Fall der Fram ging das nicht, weil das Fram-Museum weiter draußen lag, und so erlebte Jonas zum ersten und wohl auch letzten Mal einen Liebesakt auf einem historischen Schiff, und zwar in einer winzigen Kabine, die er kurzerhand aufgebrochen hatte. Erst als sie danach das Schild lasen, wurde ihnen klar, dass sie gerade in Roald Amundsens Koje miteinander geschlafen hatten.
Am fünften Tag wollte Tic ihren Kontoauszug holen, weil sie eine dringende Überweisung erwartete. Jonas blieb draußen und studierte den Stadtplan. Sie kam aus der Bank gestürzt, wedelte mit mehreren Papieren vor seiner Nase herum und rief:
»Wer bist du? Sag mir, wer du bist!«
»Wir kennen uns bereits.«
»Wer bist du? Wie ist das möglich? Was hast du gemacht?«
»Baust du mir nun das Haus oder nicht?«
»Ich muss was trinken.«
Sie zog ihn in eine Bar. Sie sah tatsächlich etwas mitgenommen aus, ihr Gesicht war fleckig, ihr sonst so sorgsam gebürstetes Haar stand in alle Richtungen ab, ihre Hände zitterten. Jonas konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Als die Getränke da waren, tippte sie mit dem Zeigefinger gegen seine Brust.
»Wer bist du?«
»Jemand, dem du ein Baumhaus bauen wirst.«
»Ja«, sagte sie. »Ja. Ich baue dir das schönste Baumhaus der Welt.«
»Ich erwarte auch nichts Geringeres.«
»Und wo möchtest du es haben?«
»Im Nichts.«
»Was soll das heißen?«
»Das wirst du dann schon sehen.«
»Aber trotzdem, woher hast du soviel Geld?«
»Irgend jemand muss es ja haben. Mir wäre es trotzdem lieber, wenn du nicht fragst. Keine Angst, es steckt nichts Illegales dahinter.«
»Wäre mir auch egal. Hey, ich bin Millionärin!«
Sie gingen zu ihr nach Hause. Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, sprang sie aus dem Bett und kehrte mit einem Stapel von Mappen und Ordnern zurück.
»Was ist das alles? Unbezahlte Rechnungen?«
»Sehr lustig. Das sind meine Entwürfe.«
Sie hüpfte neben ihm aufs Bett und schlug die erste Mappe auf.
»Hier geht es los! Was schwebt dir vor? Wie groß soll es sein? Wie viele Stockwerke soll es haben? Denkbar ist fast alles, ich habe sogar schon Entwürfe für ein Hotel in Bäumen gemacht, für eine Kirche, die ist in der anderen Mappe, ich habe Ideen für eine Bowlingbahn in zehn Metern Höhe, das geht auch. Wie soll deines aussehen, so wie das? Oder wie das? Oder so?«
Drei Tage später, als er mit Kaffee aus der Küche kam, fragte sie
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