Das größere Wunder: Roman
er.
»Stimmt.«
»Wirklich?«
»Ich schwöre! Jetzt bin ich dran! Geht?«
»Ja, ich hab eine Zahl.«
Werner schloss die Augen. Eine Minute verging.
»Auch sieben.«
»Richtig.«
Ihre Blicke trafen sich.
»Kann Zufall sein«, sagte Werner.
»Ist es vermutlich.«
»Wir machen das jetzt anders«, sagte Werner gedämpft, während er die Tür zum Nebenzimmer, wo Regina beim Aufräumen war, leise schloss. »Wir nehmen einen Zettel. Nur um sicherzugehen, dass keiner bescheißt.«
Auf ein Stück Papier schrieb er eine Zahl, faltete es viermal und legte es zwischen sie auf den Tisch.
Jonas bedeckte das Gesicht mit den Händen. Wartete. Dachte an nichts.
Nach einer Weile wandte er seinen Geist den Zahlen zu. Vor ihm tauchte eine Drei auf.
»Deine Lieblingszahl«, sagte er.
Werner ließ ein nervöses Kichern hören. Jonas entfaltete den Zettel. Es stimmte.
»Wie ist das möglich?« fragte Werner.
»Mich wundert das nicht besonders.«
»Wieso nicht?«
»Kann ich dir auch nicht sagen. Ich weiß nicht, was da passiert, aber überraschen tut’s mich nicht.«
»Weiter«, drängte Werner, »das hat noch keine Aussagekraft.«
Jonas erriet von zehn Zahlen sechs, Werner vier. Bei seinem letzten Fehlversuch wurden sie von Mike unterbrochen, der sich, nackt und von Kopf bis Fuß mit Toilettenpapier umwickelt, brüllend auf sie stürzte, weil er Roboter spielen wollte. Nachdem sie ihm rasch eine Rüstung aus leeren, zusammengebundenen Konservendosen umgehängt hatten, kehrten sie zum Tisch zurück, wo Dagobert, der fette Hauskater, zwischen zerknüllten Zetteln und Buntstiften wütete. Werner schubste ihn sachte auf die Bank.
Sie setzten sich. Nebenan hörten sie Regina singen.
»Das hat jetzt aber Aussagekraft.«
Jonas rieb sich die Schläfen. »Davon kriegt man Kopfschmerzen.«
»Mit der Nummer können wir im Zirkus auftreten«, sagte Werner und begann, Zahnstocher in die Papierkügelchen zu stecken.
»Ich hasse Zirkus. Blöde Clowns.«
»Kannst du dir das erklären? Ist dir das nicht unheimlich? Sind wir Hellseher?«
»Ich will mir das gar nicht erklären. Warum soll ich mich verrückt machen? Wir werden sowieso keine Antwort finden, und wenn wir noch so lange rumspekulieren.«
»Was spekulierst du denn rum?« fragte Werner.
»Um uns muss einfach etwas sein«, sagte er. »Oder jemand. Jemand beobachtet uns. Vielleicht auch nicht, vermutlich sind wir ihm egal, zu unwichtig. Aber da ist etwas. Ich kann es spüren. Konnte ich immer schon.«
»Du fängst mir jetzt aber nicht zu spinnen an?«
»Überleg mal. Jeder Mistkäfer hält sich für die Krone der Schöpfung, weil er sich schon so etwas Komplexes wie einen Hasen kaum vorstellen kann. Und ein Hase kapiert seinerseits nach allem, was wir wissen, auch wenig von Sinfonien und Spritzgussverfahren oder Justizirrtümern. Jetzt erklär mir mal, wieso sollten ausgerechnet wir alles verstehen, ja alles sehen, was da ist? Hunde können gewisse Tonfrequenzen wahrnehmen, wir nicht …«
»Ich verstehe auch nichts von Spritzgussverfahren«, sagte Werner und schnippte ein aufgespießtes Papierkügelchen quer durch die Küche. »Und mir wäre im Nachhinein lieber, dieses Ratespiel hätte nicht ganz so gut geklappt.«
»Typisch, erst bist du neugierig, dann passt dir das Ergebnis nicht. Du solltest eben keine solchen Experimente anstellen, wenn dir das, was rauskommt, unheimlich ist. Man sollte immer nur Fragen stellen, deren Antworten man aushält.«
»Ist schon gut, du Kalenderspruchexperte. Ich frage mich eben, wie das möglich ist. Leben wir in einem Spukhaus?«
»Vielleicht sind wir ja auch tot«, sagte Jonas.
»Jetzt reicht es dann aber.«
»Na vielleicht leben wir gar nicht in der Realität und glauben das nur? Sind mit den Schweinen in die Luft geflogen und haben nur noch nicht kapiert, dass wir tot sind?«
Werner feuerte eine Batterie Papierkugeln auf Jonas ab.
»Ganz ruhig«, rief Jonas, »wir sind nicht tot. Zumindest allem Anschein nach.«
»Du gehst einem manchmal ziemlich auf den Wecker, ist dir das klar? Du weißt genau, dass ich so etwas nicht hören kann.«
»Tut mir leid. Erklär mir lieber, wieso der Boss kein Wort über den explodierten Schweinestall verloren hat. Der kennt uns doch, der zählt zwei und zwei zusammen und weiß sofort, wer dahintersteckt.«
»Habe ich mich auch schon gefragt. Vermutlich ist es ihm egal. Solange wir uns nicht mit in die Luft sprengen.«
»Aber das ist doch verantwortungslos von ihm!« rief Jonas. »Wir
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