Das große Buch der Lebenskunst
nicht befehlen, dass er sich freuen soll. Aber wichtig ist
die Erkenntnis: In jedem von uns liegt auf dem Grund seines Herzens die Freude bereit. Wir sind davon oft genug nur abgeschnitten. Es ist unsere Aufgabe,
mit der Freude wieder in Berührung zu kommen, die in uns ist. Es gibt ganz konkrete Mittel, die uns dabei helfen: Wir brauchen uns nur daran zu erinnern,
worüber wir uns als Kind gefreut haben. Oder wir nehmen die kleinen Dinge des Alltags wahr, die Grund zur Freude sind: das Lächeln der Verkäuferin, das
schöne Wetter, die frische Luft, die uns umweht, die Lebendigkeit unserer Kinder. Die Fähigkeit, sich zu freuen und der Freude in seinem Herzen Raum zu
geben, ist für den Menschen lebensnotwendig. Amerikanische Mediziner haben festgestellt, dass die Freude nicht nur der Seele, sondern auch dem Körper gut
tut, dass sie die Bedingung dafür sein kann, dass Krankheiten weniger auftreten und schneller heilen. Die wohltuende Wirkung der Freude war schon den
Weisen des Alten Testamentes bekannt. Die Wissenschaft versucht, diese heilsame Wirkung der Freude zu begründen. Freude ist eine gehobene Emotion, sagt
die Psychologin Verena Kast. Sie bringt etwas in unserer Seele und in unserem Leib in Bewegung. Sie entspannt den Leib und erhöht dadurch seine
Widerstandskraft.
Es gibt nichts Schöneres.
Und kaum etwas Gesünderes.
Aufgehellt
E ine einzige Freude vertreibt hundert Betrübnisse.« (Chinesisches Sprichwort) Die Freude ist wie ein
Licht, das in der Finsternis angezündet wird. Auch wenn die Kerze nur ganz klein ist, vertreibt sie die Dunkelheit eines Raumes. Der Raum bekommt eine
andere Atmosphäre. Das kleine Licht leuchtet mitten in der Finsternis und vertreibt sie. Die Kerze hellt den Raum noch nicht so auf, dass man darin lesen
kann. Aber ein Raum, in dem eine Kerze brennt, ist nicht mehr dunkel. Genauso – meint das chinesische Sprichwort – kann eine kleine Freude die getrübte
Stimmung, die die Seele des Menschen verdunkelt, vertreiben.
Die Freude hellt die trübe Stimmung auf. Sie ist wie ein Keil, der in die Mauer der Betrübnisse geschlagen wird. Der Keil bricht die Mauer entzwei. Es
entsteht eine Lücke, durch die das Leben wieder eindringen kann in den Menschen.
Lerne tanzen
L erne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen«, das sagt Augustinus.
Für Augustinus ist nicht in erster Linie die Erfüllung der Gebote die Voraussetzung, dass wir in den Himmel kommen und uns dort für immer der Gegenwart
Gottes erfreuen können. Vielmehr ist für ihn die Lebendigkeit, die wir hier entwickeln, entscheidend, dass wir auch im Himmel ewiges Leben erfahren. Das
Tanzen ist Zeichen dieser Lebendigkeit.
Im Tanzen vergesse ich mich selbst. Da bin ich ganz in meinem Körper. Da spüre ich mich in die Freude am eigenen Körper hinein. Im Tanz drücke ich die
Sehnsucht nach Freiheit, nach Geborgenheit, nach göttlicher Schönheit aus.
Die Engel kann sich Augustinus nur als tanzende Wesen vorstellen. Sie wollen uns im Himmel mit aufnehmen in den himmlischen Reigen. Der Kirchenvater
Hippolyt nennt Christus den Vortänzer im himmlischen Reigen. Die Engel sind seine Mittänzer. Und sie laden jeden, der in die Herrlichkeit des Himmels
gelangt, ein, mitzutanzen und im Tanz die reine Freude, die reine Freiheit und die reine Schönheit zu erleben.
Lerne genießen
W er nicht genießen kann, wird irgendwann ungenießbar.« Das ist eine alte Lebensweisheit. Und jeder kennt
vermutlich Beispiele, die diese Weisheit belegen.
Askese gehört zu jedem spirituellen Weg. Askese ist die Lust, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, selber zu bestimmen, wann und wie viel man isst
und trinkt. Bei manchen Menschen wird die Askese freilich zu einer Obsession. Sie haben keine Lust an der Askese. Ihre Askese entspringt vielmehr einer
Lebensverneinung. Sie haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich etwas gönnen. Vor lauter asketischer Abstinenz werden sie unfähig, das, was Gott ihnen
geschenkt hat, zu genießen. Beim Essen sehen sie sofort auf ihr Gewicht oder halten sich die gesundheitlichen Auswirkungen vor Augen. Oder sie denken
daran, dass andere im gleichen Augenblick nichts zu essen haben. So gut es ist, mit den Armen solidarisch zu sein, so verkehrt wäre es, sich jeden Genuss
mit dem Hinweis zu vergällen, dass es Menschen gibt, die hungern. Schon Teresa von Avila hat gesagt: »Wenn fasten, dann fasten. Und wenn Rebhuhn, dann
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