Das große Doppelspiel
Sie nahm eine Gitane aus der
silbernen Zigarettendose, und als sie sie anzündete, wurde die
Tür aufgestoßen, und Ziemke trat, gefolgt von einem
Feldwebel mit einer Schmeisser-MP, ins Zimmer.
»Was ist los, Carl?« sagte sie. »Du bist ja ganz aufgeregt.«
»Was los ist?« entgegnete er. »Man
hat mir eben gesagt, daß Anne-Marie, Priem und dieser
französische Standartenführer mit meinem Mercedes geflohen
sind. Reichslinger ist tot. Die ser verdammte Franzose hat ihn
erschossen. Der Posten hat es vom Wachhaus aus gesehen.«
»Die beste Nachricht seit Jahren«, bemerkte sie. »Ich habe den Burschen nie gemocht.«
Er stand stocksteif da, runzelte leicht die Stirn.
»Hortense? Habe ich recht gehört? Was soll das
heißen?«
»Daß das Fest zu Ende ist, Carl. Daß
es höchste Zeit für mich war, wie eine Voincourt zu handeln
und nur eine Tatsa che ins Gedächtnis zurückzurufen
…, daß du und deine Lands leute mein Land besetzt
halten.«
»Hortense?« Er sah sie konsterniert an.
»Du bist ein sehr netter Mensch,
Carl, aber das ist nicht ge nug. Du bist auch der Feind, verstehst
du?« Ihre Hand kam unter der Decke hervor. »Adieu,
Liebling.«
Sie feuerte zweimal mit der Walther, traf ihn ins
Herz, so daß er nach hinten taumelte, zusammensackte. Der
Feldwebel ging hinter der Tür in Deckung, schob den Lauf der MP um
die Ecke der Zarge und leerte das ganze Magazin. Für Hortense de
Voincourt kam das Dunkel rasch und erlösend.
Saint-Maurice war still und menschenleer, als sie es
passier ten. Priem fuhr so schnell, daß sie schon zwanzig
Minuten spä ter die Küstenstraße und Léon
erreichten. Als sie im Wald an der Steilküste von Grosnez waren,
kam der Mond hinter einer großen Wolke hervor.
Craig tippte Priem auf die Schulter. »Halten Sie hier.«
Der Deutsche nahm Gas weg, bremste und stellte den Motor ab. »Und nun? Eine Kugel in den Kopf?«
»So leicht machen wir es Ihnen nicht«,
antwortete Craig lä chelnd. »Sie kommen mit uns nach
England. Ich möchte, daß Sie dort jemanden kennenlernen. Ich
bin sicher, daß Sie für ihn eine Fundgrube von Informationen
sein werden.«
Er stieg aus. »Pierre?« rief er.
Zwischen den Bäumen auf der anderen
Straßenseite beweg ten sich einige Gestalten. Als sie
näher kamen, sah Geneviève, daß sie Lammfelljacken
und Baskenmützen trugen. Einige wa ren mit Flinten bewaffnet,
andere mit Gewehren. Sie blieben am Hang oberhalb des Wagens stehen,
und dann trat der Große Pierre vor.
»Hallo, Freunde!« rief er aufgekratzt.
Priem hatte ein maskenhaftes Lächeln auf den
Lippen, als er Geneviève im Rückspiegel ansah. »Sie
haben Blut auf der Wange.«
»Es ist nichts weiter. Nur eine kleine Schramme.«
»Das freut mich.«
Craig öffnete die Tür an der Fahrerseite,
und Priem griff un ter das Armaturenbrett. Seine Hand kam mit
einer Luger her vor, und sie reagierte in einer blinden Panik
instinktiv, indem sie ihm die Walther ins Rückgrat rammte und
zweimal abzog.
Sein Körper zuckte heftig, es roch verbrannt, und
sie hatte den Gestank von Kordit in der Nase. Ganz langsam, wie in
Zeitlupe, stemmte er sich hoch und wandte sich halb um, und als er sie
anzublicken versuchte, hatte er einen überraschten Ausdruck in den
Augen; dann schoß Blut aus seinem Mund winkel, und er sank
auf das Lenkrad.
Als sie aus dem Wagen stieg, wollte Craig ihr helfen,
aber sie stieß ihn fort. »Nein, lassen Sie mich in
Ruhe.«
Er starrte sie an, und in seinem Gesicht zuckte kein
Muskel, dann knöpfte er den schwarzen SS-Rock auf und warf ihn in
den Mercedes. Der Große Pierre gab ihm eine Lammfelljacke, drehte
sich um und nickte einem von seinen Männern zu. Die ser
beugte sich über Priems Körper und löste die Handbremse.
Sie brauchten den Wagen nur ein wenig anzuschieben, damit er über
die schmale Böschung rollte und in die Tiefe stürzte.
Ihr wurde bewußt, daß sie immer noch die
Walther um klammert hielt, und sie erschauerte und steckte sie in
die Ta sche. »Er hat gedacht, ich würde es nicht
fertigbringen«, flü sterte sie. »Und ich auch
nicht, um die Wahrheit zu sagen.«
»Jetzt wissen Sie also, was für ein
Gefühl es ist«, sagte Craig. »Willkommen im
Club.«
Die anderen Männer von der Résistance
blieben auf dem oberen Anleger, während der Große Pierre mit
Craig und Ge neviève nach unten ging, wo die Lili Marlen vertäut war. Schmidt rief: »Verdammt noch mal, er hat’s geschafft. Er hat sie bei sich!«
Zwei Männer,
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