Das große Doppelspiel
können wir für uns
behalten.«
»Natürlich. Es würde sich nicht gut
für Sie machen, nicht wahr? Kann ich jetzt hineingehen?«
Er öffnete ihr die Tür. »Gute Nacht, Miss Trevaunce«, sagte er förmlich.
Sie hätte ihm antworten können, er möge
sich zur Hölle scheren, aber es hätte nicht viel Sinn gehabt.
Also ging sie ein fach hinein, schloß die Tür und
lehnte sich dagegen. Sie hörte Gemurmel, das Geräusch von
Schritten, die sich entfernten. Der Schlüssel steckte nicht im
Schloß, und als sie die Tür ein gehender untersuchte,
stellte sie fest, daß man auch den Riegel entfernt hatte. Und die
Pistole, mit der sie so sorgfaltig geübt hatte, war natürlich
auch nicht mehr da.
Sie zog das Kleid aus, schlüpfte wieder in die
Hosen und den Pulli und trat hinaus auf den Balkon. Es war sehr dunkel,
und es regnete immer noch. Sie horchte, ob etwas von dem Posten unten
zu hören war, und hörte nach einer Weile ein Husten. Es
stimmte also, und der Sims, der um die Ecke zum Balkon ihrer Tante
lief, war so schmal, daß nur ein erfahrener Bergsteiger
hätte hoffen können, darauf entlangzubalancieren.
Sie ging ins Schlafzimmer zurück,
nahm das Zigarettenetui und klappte es auf. Es war keine Zigarette mehr
darin, nur noch die inzwischen nutzlose Filmspule in dem Geheimfach.
Sie fühlte sich schrecklich müde, und sie fror. Sie zog
Anne Maries Jagdjacke an und steckte das Zigarettenetui in die
Ta sche.
Sie nahm die Tagesdecke vom Bett, hüllte sich
darin ein und setzte sich, das Licht anlassend wie ein kleines
Mädchen, das sich vor dem Dunkeln fürchtet, in den Sessel am
Fenster.
Sie döste eine Weile ein, kam frierend und
kreuzunglücklich wieder zu sich und sah, wie die Vorhänge
sich bewegten. Sie wurden auseinandergeschoben, und Craig Osbourne trat
mit einer Walther in der rechten Hand ins Zimmer. Er trug immer noch
die SS-Uniform. Er hob einen Finger, damit sie still blieb.
»Wir nehmen Ihre Tante mit. Zufrieden?«
Geneviève wurde von einer kalten Erregung durchströmt. »Wie sind Sie hier heraufgekommen?«
»Ich bin zu Ihrem Balkon hochgeklettert.«
»Ich dachte, da unten wäre jemand postiert?«
»Nicht mehr.« Er ging leise zur Tür
und horchte. »Wen ha ben wir da draußen?«
»Einen jungen Oberleutnant mit einer Maschinenpistole.«
Er steckte die Walther in die Pistolentasche und nahm
etwas aus der Rocktasche. Ein scharfes Klicken ertönte, eine
Klinge blitzte in dem schwachen Lichtschein. Sie starrte fasziniert
darauf, und er gab ihr einen kleinen Schubs. Sie ging zur Tür,
klopfte leise, öffnete sie dann. Vogel war in einem Sekunden
bruchteil mit schußbereiter MP vor ihr.
»Was ist los?« fragte er in schlechtem Französisch. »Was wollen Sie?«
Ihre Kehle war so ausgedörrt,
daß sie kaum sprechen konnte, aber sie zwang sich dazu und sagte,
während sie sich umdrehte und auf die Vorhänge zeigte, die
sich in dem leichten Luftzug bauschten: »Da draußen, auf
dem Balkon. Ich glaube, da ist etwas.«
Er zögerte, trat dann bis Zimmer. Craig Osbourne
legte ihm den Arm um die Kehle, rammte ihm ein Knie ins Rückgrat
und bog ihn nach hinten. Geneviève sah nicht, wie das Messer
hin einglitt, hörte nur das leise Stöhnen, während
sie sich abwandte und gegen eine Übelkeit ankämpfte und daran
dachte, wie gut er getanzt hatte. Als Craig den Leichnam ins Badezimmer
schleifte, hörte sie nur das Geräusch von Stiefeln, die
über das Parkett scharrten. Als Craig zurückkam, hatte er die
Schmeis ser.
»Alles in Ordnung?«
»Ja.« Sie holte tief Luft. »Ja, natürlich.«
»Gehen wir.«
Hortense saß, einen großen Schal um die
Schultern, im Bett und las ein Buch. Sie hatte sich wie immer
vollkommen in der Gewalt und zeigte nicht das kleinste Zeichen von
Überra schung.
»Du hast anscheinend einen Freund gefunden, Geneviève.«
»Er ist aber nicht ganz der, der er zu sein scheint.«
»Major Osbourne, Madame.«
»Sie sind wegen meiner Nichte hier, nehme ich an?«
»Und Ihretwegen, Madame. Sie will nicht ohne Sie gehen.«
Hortense nahm eine Gitane aus der Schachtel auf dem
Nachttisch und zündete sie mit ihrem silbernen Feuerzeug an.
Geneviève holte ihr leeres Zigarettenetui heraus und füllte
es rasch aus der Schachtel auf.
»Sie kennen sicher die Werke des
großen englischen Ro manciers Charles Dickens, Major
Osbourne?« fragte Hortense. » Zwei Städte, in
der ein gewisser Mister Sydney Carton in ei nem ruhmreichen Akt
der Selbstopferung an Stelle eines
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