Das große Doppelspiel
ande ren zur Guillotine geht?
Wir haben von alters her geglaubt, daß dieser Vorfall ein
Mitglied unserer Familie betraf.« Sie blies eine lange Rauchwolke
aus. »Aber die Voincourts hatten im mer einen Hang zu
großen Gesten.« Sie schaute Geneviève an.
»Egal, wie fehl am Platze sie waren.«
»Wir haben nicht viel Zeit, Madame«, sagte Craig geduldig.
»Dann schlage ich vor, Sie gehen, Major, solange es noch Zeit ist. Sie beide, meine ich.«
Von Panik ergriffen, faßte Geneviève nach
der Bettdecke und zog sie zurück. Hortense packte ihr Handgelenk
und hielt es mit überraschender Kraft fest. »Hör
zu.« Ihre Stimme war nun wie Stahl. »Du hast mir einmal
gesagt, du wüßtest, daß ich ein schwaches Herz
habe?«
»Aber das war ja nicht wahr. Es war nur eine von
den Lügen, die sie mir erzählten, um mich dazu zu bringen,
hierherzu kommen.«
»Anne-Marie hat es geglaubt. Ich habe es selbst
erfunden, um gewisse Schwindelanfälle zu erklären, unter
denen ich im mer häufiger leide. Die Wahrheit habe ich
für mich behalten. Man hat schließlich seinen Stolz.«
Im Zimmer war es so still, daß Geneviève
das Ticken der Uhr hören konnte. »Und was ist die
Wahrheit?« flüsterte sie.
»In einem oder vielleicht zwei Monaten werde ich
Schmer zen haben. Ich habe schon jetzt welche. Dr. Marais hat mir
nichts vorgemacht. Dafür ist er ein zu alter Freund.«
»Das stimmt nicht.« Geneviève war auf einmal zornig. »Nichts davon stimmt.«
»Hast du dich jemals gefragt, von wem du deine
Augen hast, Chérie?« Sie hielt jetzt beide Hände
Genevièves. »Sieh mich an.«
Grün und bernsteinfarben, mit
goldenen Lichttupfen und voll Liebe, mehr Liebe, als Geneviève
je für möglich gehalten hätte. Hortense sagte die
Wahrheit, das wußte sie. Ihre Kindheit schien von ihr zu gleiten.
Sie empfand ein grenzenloses Verlas sensein, das fast
unerträglich war.
»Für mich, Geneviève. « Sie
küßte sie zärtlich auf beide Wangen. »Tu es
für mich. Du hast mir immer deine ganze Lie be geschenkt,
uneingeschränkt, ohne einen eigennützigen Ge danken. Das
Kostbarste in meinem Leben, jetzt kann ich es sagen. Würdest du
mir das Recht bestreiten, weniger zu ge ben?«
Unfähig zu antworten, mit zitternden Händen
trat Geneviève zurück. Hortense fuhr fort: »Sie
lassen mir eine von Ihren Pistolen da, Major.« Es war ein Befehl,
keine Bitte, und Craig zog seine Walther aus der Tasche und legte sie
neben sie auf das Bett.
»Hortense?«
Geneviève streckte die Hand danach aus, aber
Craig hielt ih ren Arm fest. »Geht jetzt«, sagte ihre
Tante. »Sofort, bitte.«
Craig öffnete die Tür und zog
Geneviève aus dem Zimmer. Ihre Augen brannten. Tränen
wollten nicht kommen. Als letz tes sah sie ihre Tante mit der Hand
auf der Walther im Bett sitzen, und dabei lächelte Hortense leise
vor sich hin.
Sie schlichen die Haupttreppe hinunter. Die
Eingangshalle war ein Reich der Schatten. Nichts rührte sich.
»Wo Priem wohl ist?« flüsterte Craig. »In seinem
Büro in der Bibliothek. Er schläft auch dort.« Unter
der Tür drang ein Lichtstreifen hindurch. Er blieb stehen, hob die
Schmeisser, drückte sehr vorsichtig den Drücker hinunter, und
sie traten ein.
Priem saß, noch in Uniform, am
Kamin und arbeitete im Schein einer Schreibtischlampe über einigen
Papieren. Er schien ganz in seine Tätigkeit vertieft, zeigte aber
keinerlei Überraschung, als er aufblickte und sie sah.
»Ach, der Liebhaber«, sagte er, und in
seinem Gesicht zuck te kein Muskel. »Aber das war wohl nur
eine Tarnung.«
»Nimm seine Pistole«, sagte Craig auf englisch zu ihr.
»Amerikaner?« sagte Priem und nickte.
»Ein Feuerstoß mit dem Ding da würde natürlich
das ganze Schloß aufwecken.«
»Und Sie mausetot machen.«
»Ja, darauf bin ich auch schon gekommen.«
Er stand auf, ließ die Hände auf dem
Schreibtisch. Geneviè ve trat hinter ihn und zog die
Walther aus dem Halfter.
»Und jetzt die Dokumente«, sagte Craig.
»Das Material zum Atlantikwall. Vielleicht im Safe hinter
Ihnen?«
»Ich fürchte, da verschwenden Sie wirklich
Ihre Zeit«, sagte Priem lächelnd. »Als ich sie das
letztemal sah, waren sie in Feldmarschall Rommels Aktenmappe.
Inzwischen schon auf halbem Weg nach Paris, nehme ich an. Sie
können sich natür lich selbst vergewissern.«
»Nicht nötig, Craig.«
Geneviève nahm das Zigarettenetui aus der Tasche und hielt es
hoch. »Ich hatte die Papiere vorhin für fünf Minuten in
meinem Zimmer, wie der
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