Das große Doppelspiel
gut, so gut wie schon sehr lange nicht
mehr, fand sie. Als sie zu Ende gespielt hatte und auf blickte,
war er fort. Sie zögerte, klappte den Deckel hinunter und folgte
ihm nach draußen.
Sie sah ihn unten auf einer der dunklen Stufen, die
von der Terrasse in den Garten hinunterführten, sitzen und
rauchen. Sie ging hinab und lehnte sich an die Brüstung.
»Sie waren gut«, sagte er.
»Solange ich nahe genug stehe?« fragte Geneviève.
»Okay«, sagte er. »Ich habe Sie
vielleicht drangsaliert, aber es mußte sein. Sie haben keine
Ahnung, wie es dort drüben ist.«
»Was wollen Sie, Absolution?« sagte sie.
»Ich muß hin, das haben Sie selbst gesagt. Ich habe keine
Wahl, weil es sonst niemanden gibt. Es ist nicht Ihre Schuld. Sie sind
nur ein Werkzeug.«
Er stand auf und warf die Kippe hinunter.
Sie landete auf dem Kiesweg und glühte rot. »Wir haben
morgen noch den ganzen Tag«, sagte er. »Sie sollen gleich
nach dem Frühstück wieder zu Munro. Zeit, schlafen zu
gehen.«
»Sofort«, sagte sie. Sie griff nach seinem
Ärmel. »Und vie len Dank, daß Sie sich dieses
eine Mal wie ein menschliches Wesen benommen haben.«
Seine Stimme klang sonderbar, als er antwortete.
»Seien Sie nicht nett zu mir, noch nicht. Wir sind noch nicht mit
Ihnen durch.«
Er drehte sich um und ging schnell ins Haus.
Sie holten sie mitten in der Nacht. Es war ein
brutales Erwa chen, die Bettdecke wurde zurückgezogen, und
jemand riß sie hoch.
»Sie sind Anne-Marie Trevaunce?« herrschte eine Stimme sie auf französisch an.
»Was fällt Ihnen ein?« Sie war
außer sich vor Zorn, versuch te aufzustehen und bekam einen
Schlag ins Gesicht.
»Sie sind Anne-Marie Trevaunce? Antworten Sie.«
Und dann wurde ihr bewußt, daß sie beide,
die schattenhaf ten Gestalten hinter dem Lichtkreis, deutsche
Uniform trugen, und sie erkannte den Grund der Übung.
»Ja, ich bin Anne-Marie Trevaunce«, sagte
sie auf franzö sisch. »Was wollen Sie von mir?«
»Das ist besser. Viel besser. Ziehen Sie Ihren Morgenmantel an und kommen Sie mit.«
»Sie sind Anne-Marie Trevaunce?«
Es war sicher das zwanzigste Mal, daß sie ihr
diese Frage stellten, als sie, geblendet von den grellen weißen
Strahlern, die sie auf ihr Gesicht gerichtet hatten, in der Bibliothek
am Tisch saß.
»Ja«, sagte sie erschöpft. »Wie oft soll ich es Ihnen noch sa gen?«
»Und Sie leben bei Ihrer Tante in Schloß Voincourt?«
»Ja.«
»Ihre Zofe. Maresa. Erzählen Sie von ihrer Familie.«
Sie holte tief Luft. »Ihre Mutter ist Witwe und
hat einen kleinen Bauernhof knapp zwanzig Kilometer vom Schloß
ent fernt. Sie bearbeitet ihn mit einem ihrer Söhne. Er
heißt Jean und ist geistig ein bißchen
zurückgeblieben. Maresa hat noch einen Bruder, Pierre. Er war
Feldwebel in einem französischen Panzerregiment. Er ist jetzt in
einem Arbeitslager in Alderney auf den Kanalinseln.«
»Und General Ziemke … erzählen Sie von ihm.«
»Ich hab’ Ihnen schon von ihm erzählt, alles … mindestens viermal.«
»Erzählen Sie es noch mal«, sagte die Stimme eindringlich.
Plötzlich war es vorbei. Jemand ging hinüber
zur Tür und knipste die Deckenlampe an. Sie waren zu zweit, wie
sie ge dacht hatte, und in deutscher Uniform. Craig Osbourne stand
am Kamin und zündete sich eine Zigarette an.
»Nicht übel. Gar nicht übel.«
»Sehr lustig«, erwiderte sie, noch immer erregt.
»Sie können jetzt wieder ins Bett.«
Sie wandte sich zur Tür, und er rief: »Übrigens,
Geneviève?«
Sie drehte sich um und sah ihn an. »Ja?« sagte sie müde.
Ein lastendes Schweigen, und die anderen blickten sich
an. Sie war auf den ältesten Trick der Branche hereingefallen.
»Passen Sie auf, daß Ihnen das nicht wieder passiert, ja?« sagte er gelassen.
8
Am Morgen kam es ihr vor wie ein Alptraum, etwas, das
nie geschehen war. Besonders beängstigend war, daß sie
tatsäch lich angefangen hatte, an ihrer Identität zu
zweifeln, und zu spüren meinte, wie die Persönlichkeit ihrer
Schwester sie in Besitz nahm. Das unablässige Beharren, daß
sie Anne-Marie war, hatte dazu geführt, daß sie in
Augenblicken großer Bela stung tatsächlich glaubte,
Anne-Marie zu sein.
Sie saß am Fenster und rauchte eine Gitane. Sie
sah zu, wie es langsam hell wurde und der gelborangefarbene Schein der
Sonne langsam den Himmel im Osten überzog und den kleinen See in
der Senke silbrig glitzern ließ.
Einem Impuls folgend, nahm sie einen alten
weißen Bade mantel, der hinter der
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