Das große Doppelspiel
weit in den Fünfzigern, Heer, nicht SS,
hatte graue Strähnen, einen sauber gestutzten Schnurrbart. Das
Gesicht war ein bißchen zu fleischig, der Körper auch. Er
hatte sympathi sche Augen mit Lachfalten, aber kein Lächeln
auf den Lippen. Er wirkte müde.
»War früher mal ein guter Mann«,
sagte Craig, »aber sie ha ben ihn kaltgestellt. Er hat ein
Verhältnis mit Ihrer Tante.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Geneviève gab ihm das Foto gelassen zurück. »Wenn Sie
versucht haben, mich zu schockie ren, haben Sie Ihre Zeit
vergeudet. Meine Tante hat schon im mer einen Mann im Haus
gebraucht, und Ziemke sieht ganz passabel aus.«
»Er ist ein Militär«, brummte
René. »Mehr sage ich nicht über ihn, und dieser
Mistkerl ist auch einer.«
Er schob ihr eine weitere Aufnahme hin.
Sie mußte sich eine Sekunde lang an den Tisch lehnen, so
groß war der Schock des Erkennens. Sie hatte diesen Mann noch nie
gesehen, und doch meinte sie, ihn ihr Leben lang gekannt zu haben.
Abgesehen vom SS-Kragenspiegel und einem Eisernen Kreuz ähnelte
sei ne Uniform der von Joe Edge, und er hatte kurzgeschnittenes
schwarzes Haar, ein starkes, zerfurchtes Gesicht und Augen, die durch
sie hindurchzublicken schienen, auf irgendeinen Punkt hinter ihr. Kein
attraktives Gesicht, und trotzdem eines, nach dem man sich sogar in
einer größeren Ansammlung von Menschen umdrehen würde.
»Sturmbannführer Max Priem«, sagte
Craig Osbourne. »Das heißt Major, und Sie können ihn
ruhig so anreden. Ritterkreuz träger, ein erstklassiger
Soldat und ein absolut gefährlicher Mann. Er ist für die
Sicherheit des Schlosses verantwortlich.«
»Warum ist solch ein Mann nicht an der Front und kämpft?«
»Er bekam letztes Jahr in Rußland eine
Kugel in den Kopf, als er bei einem Fallschirmbataillon der SS diente.
Sie pflanz ten ihm eine silberne Platte in den Schädel ein,
er muß also achtgeben.«
»Und wie ist er mit Anne-Marie zurechtgekommen?« fragte Geneviève, zu René gewandt.
»Sie kämpften wie ebenbürtige Gegner,
Mademoiselle. Er war nicht mit ihr einverstanden, und sie mochte ihn
nicht. Da gegen war ihre Beziehung zu General Ziemke
ausgezeichnet. Sie flirtete ganz offen mit ihm, und er behandelte sie
wie eine Lieblingsnichte.«
»Was sich sehr gut auszahlte, ich
meine, in Form der Pas sierscheine für die Reisen nach Paris
und der uneingeschränk ten Freiheit, zu kommen und zu gehen,
wann sie wollte«, be merkte Craig. »Aber ich muß
noch einmal betonen, wie wert voll die Verbindung zu den
Voincourts für die Deutschen ist. Sie und Ihre Tante sind für
die Franzosen Kollaborateure, ver gessen Sie das nicht. Sie leben
weiterhin sorglos und in Luxus, während Tausende der Landsleute
Ihrer Tante in Arbeitslagern schuften. Und Sie und Ihre Freunde, die
französischen Indus triellen und ihre Frauen, die die Feste
auf dem Schloß besu chen, gehören zu den
meistgehaßten Leuten in Frankreich.«
»Ich habe verstanden.«
»Nur noch eine Person, auf die Sie aufpassen
müssen.« Das Bild war nicht angenehm zu betrachten. Es
zeigte einen jungen SS-Offizier mit hellblondem Haar, dicht beisammen
stehenden Augen und einem abstoßend-kalten Ausdruck im Gesicht.
»Hauptsturmführer, also Hauptmann, Hans Reichslinger. Er ist
Priems Stellvertreter.«
»Unsympathisch«, sagte Geneviève.
»Eine Bestie.« René spie ins Feuer.
»Merkwürdig«, sagte sie. »Er scheint so gar nicht zu Priem zu passen.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Craig.
René sagte: »Priem verachtet ihn und gibt sich keine Mühe, es zu verheimlichen.«
Craig nahm einen großen braunen Umschlag und gab
ihn ihr. »Hier finden Sie Informationen über alle Leute, die
Sie dort treffen werden. Studieren Sie sie, als hinge Ihr Leben davon
ab – denn das tut es.«
Es klopfte, und Julie steckte den Kopf herein. »Der Friseur ist da.«
»Gut«, sagte Craig. »Wir machen
später weiter.« Als Gene viève Anstalten zu
gehen machte, fügte er hinzu: »Schnell noch ein Foto. Der
Baumeister des Atlantikwalls, der großen Vertei
digungsbastion der Nazis. Der Mann, für den Sie am Wochen
ende zusammen mit Ihrer Tante die Gastgeberin auf Schloß
Voincourt spielen werden.«
Er legte sehr behutsam ein Foto von Feldmarschall Erwin
Rommel vor sie auf den Tisch. Sie stand da und starrte ver
blüfft darauf, und Munro erhob sich und trat, seine Papiere in der
linken Hand, zu ihr an den Tisch.
»Wie Sie sehen, habe ich nicht übertrieben,
als ich sagte,
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