Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das große Doppelspiel

Das große Doppelspiel

Titel: Das große Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
Vom Netzwerk:
so mit mir reden, wenn Sie noch ein einziges Mal
vergessen, daß ich ihr Vorgesetzter bin …« Er hielt
das Telegramm hoch.
    Reichslinger war aschfahl geworden. »Jawohl, Standarten­ führer.«
    »Und jetzt hinaus mit ihnen.« Der junge
Mann eilte zur Tür und öffnete sie. Priem fügte hinzu:
»Noch etwas, Reichslin­ ger.«
    »Wenn Sie Fräulein Trevaunce noch einmal belästigen, lasse ich Sie erschießen.«

    Geneviève saß auf dem Balkon des rosa
Zimmers im Schau­ kelstuhl und dachte an einen Vorfell zurück,
der sich ereignet hatte, als sie vierzehn gewesen war. Sie hatte um
eine Zeit, als sie und ihre Schwester im Bett sein sollten, oben im
Dunkeln an der Treppe gehockt und beobachtet, wie die Gäste zu
einem Ball eintrafen, den Hortense gab. Anne-Marie hatte herausbe­
kommen, daß der attraktivste junge Mann, der gekommen war, zu den
reichsten Leuten in ganz Frankreich gehörte.
    »Wenn ich älter bin und nicht genug Geld
habe, werde ich ihn heiraten. Wir wären ein ideales Paar, ich mit
meinen blon­ den Haaren und er mit seinen dunklen.«
    Geneviève hatte ihr aufs Wort
geglaubt. Noch nach all den Jahren klang ihr die Stimme im Ohr, und
dann wurde ihr plötz­ lich bewußt, daß Anne-Marie
sich irgendwie geändert haben mußte, schon allein
deshalb, weil sich alles im Leben änderte. Das Mädchen, das
ihr von ihrer gemeinsamen Kindheit her in Erinnerung war und das sie,
abgesehen von Hampstead, vor vier Jahren zuletzt gesehen hatte,
mußte heute anders sein als früher. In einer gewissen
Hinsicht sollte sie die ganze Sache vielleicht neu überdenken.
    Sie hatte immer irgendeine Angst davor gehabt, von
AnneMarie dominiert zu werden, so wie sie immer das Gefühl hatte,
es wäre vielleicht besser, wenn sie nie zur Welt gekommen
wäre. Während sie hier auf dem Balkon saß und über
diese Dinge nachdachte, wurde ihr auch klar, daß es immer, die
gan­ ze Zeit über, ein Band zwischen ihnen gegeben hatte:
einen gemeinsamen Widerwillen gegen die bloße Tatsache, daß
es die andere gab.
    Wie merkwürdig, daß dieser friedliche Ort
solche Gedanken heraufbeschwören konnte! Da hörte sie
plötzlich, daß jemand im Zimmer hantierte. Sie stand auf und
ging hinein. Schwarzes Kleid, weiße Schürze, dunkle
Strümpfe und schwarze Schuhe, die Zofe einer Dame der besseren
Kreise. Maresa stand über ihre Koffer gebeugt.
    »Lassen Sie das einstweilen«, befahl Geneviève.
    Ihre Stimme klang ungehalten, denn innerlich hatte sie
ein bißchen Angst. Hier war wieder jemand, den sie
überzeugen mußte, noch dazu eine Person, die sie sehr gut
kannte.
    »Ich möchte ein wenig schlafen«,
sagte sie. »Die Eisenbahn­ fahrt war schrecklich. Sie
können später auspacken.«
    Einen Moment lang glaubte sie Haß in den
dunkelbraunen Augen zu sehen und fragte sich, was Anne-Marie getan
haben mochte, um ihn zu verdienen.
    Maresa sagte: »Soll ich Ihnen ein heißes Bad machen, Ma­ demoiselle?«
    »Später.«
    Sie machte hinter Maresa die Tür zu und lehnte
sich mit zit­ ternden Händen dagegen. Wieder eine Hürde
überwunden. Sie blickte auf ihre Uhr und sah, daß es kurz
nach Mittag war. Zeit, die Löwin in ihrer Höhle aufzusuchen.
Sie glättete ihren Rock, machte die Tür auf und trat hinaus.

    11

    Als Geneviève das Boudoir ihrer Tante betrat,
meinte sie in einer anderen Welt zu sein. Eine ganze Wand wurde von
einem Fresko eingenommen, das ein berühmter chinesischer Maler in
ihrem Auftrag geschaffen hatte, eine wundervolle Arbeit. Vor den
Fenstern hingen bodenlange Vorhänge aus schwerer blauer Seide.
Geneviève kniete sich auf die Chaiselongue am Fenster, deren
Bezug ganz verblichen war, und schaute in den Garten hinunter.
    Als sie das letztemal hier gewesen war, in einem
schönen warmen Frühsommer, war er üppig und gepflegt
gewesen, und blühende Rosen hatten die Venusstatue umrankt. Es gab
keine Blumen mehr, aber die wichtigen Dinge waren noch da, so, in der
Mitte des Rasens, der große Brunnen mit dem auf einem Delphin
reitenden Jungen.
    General Ziemke saß auf der Bank an der hohen
Mauer rechts von ihr. Sein Haar war silbern, voller als auf den Fotos,
und aus dieser Entfernung wirkte sein Gesicht anziehender, sah er aus
wie ein Mann, der noch in den besten Jahren war. Er hatte sich einen
Mantel mit einem breiten Pelzkragen um die Schul­ tern gelegt und
rauchte eine Zigarette aus einer langen Spitze. Er schien tief in
Gedanken versunken zu sein, aber dann und wann rieb er sich sein
schlimmes Bein, als versuchte er, ihm

Weitere Kostenlose Bücher