Das große Doppelspiel
bewaffneten Konflikt gelebt, Anne-Marie und ich. Sie war
egoistisch und ging über Leichen, was ihre eigenen Wünsche
betraf, aber sie war meine Nichte, mein Fleisch und Blut. Eine
Voincourt.«
»Und sie hat in diesen letzten Monaten wie eine Voincourt gehandelt.«
»Ja, du hast recht, und wir müssen uns vor
Augen halten, daß die Dinge, die sie tat, nicht umsonst
waren.«
»Genau das ist der Grund, warum ich hier bin.«
Hortense schnippte mit den Fingern. »Gib mir
bitte noch ei ne Zigarette und sag Chantal, sie möchte mir
ein Bad einlaufen lassen. Ich werde mich eine Stunde in heißes
Wasser legen und über alles nachdenken. Überlegen, was wir
tun können, um es diesen Herrschaften nach besten Kräften
heimzuzahlen. Du gehst ein wenig spazieren, Chérie. Sei in einer
Stunde wieder da.«
In Cold Harbour regnete es, als Craig auf der Suche
nach Ju lie in die Küche kam. Sie registrierte seine Uniform,
den Trenchcoat.
»Du reist ab?«
»Sieht so aus. In Croydon hat es aufgeklart. Ich
fliege mit Munro in der Lysander.« Er legte den Arm um sie.
»Geht es dir gut? Du bist irgendwie verändert.«
Sie lächelte bekümmert. »Ich
weiß, du machst dich über mein Kartenlegen lustig, Craig,
aber ich habe diese Gabe. Ich habe Vorahnungen. Ich weiß einfach,
wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte.«
»Red weiter«, sagte er.
»Geneviève … ihre Schwester. An
der Sache ist mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Viel mehr. Ich
glaube nicht, daß Munro auch nur im entferntesten die Wahrheit
sagt.«
Er glaubte ihr. Sein Magen zog sich zusammen.
»Geneviè ve«, sagte er leise, und sein Griff um
ihre Schulter wurde stär ker.
»Ich weiß, Craig. Ich habe Angst.«
»Das darfst du nicht. Ich werde mich darum
kümmern.« Er lächelte. »Du hast hier Martin als
Stütze. Sprich mit ihm dar über. Sag ihm, daß ich
ein bißchen nachforschen werde, wenn ich in London bin.« Er
gab ihr einen Kuß auf die Wange. »Ver trau mir. Du
weißt, wie wild ich werde, wenn ich die Wut krie ge.«
Er saß beim Start der Maschine neben Munro. Der
Brigade general holte einige Papiere aus seiner Aktenmappe und
stu dierte sie. In diesem Stadium hatte ein Frontalangriff keinen
Sinn, das wußte Craig.
»Sie ist jetzt sicher schon mitten drin.«
»Wer?« Munro sah auf. »Wovon reden Sie?«
»Geneviève. Sie müßte inzwischen da sein. Schloß Voin court.«
»Ach das.« Munro nickte. »Wir müssen abwarten, wie es
läuft. Sie ist natürlich ein Amateur, das müssen wir bedenken.«
»Das hat Ihnen vorher aber keine Sorgen gemacht«, erwider te Craig.
»Hm, ja, ich mußte ihr schließlich
Mut machen, nicht wahr? Ich glaube, ich will mit all dem sagen,
daß wir nicht zuviel erwarten dürfen. Zwei Drittel aller
Agentinnen, die wir ins Feld schickten, haben dran glauben
müssen.«
Er wandte sich ungerührt wieder seinen Dokumenten
zu, und Craig saß da und dachte nach. Julie hatte recht. Es gab
da mehr. Er versuchte, es Schritt für Schritt zu analysieren, alle
relevanten Faktoren, die Art und Weise, wie alles geschehen war. Der
Dreh- und Angelpunkt war natürlich Anne-Marie. Wenn das, was ihr
widerfahren war, nicht passiert wäre, wenn es nicht so wichtig
für Munro gewesen wäre, sie selbst zu spre chen …
Craig dachte daran, wie er sie neulich in Hampstead gesehen hatte, und
erschauerte. Das bedauernswerte Geschöpf im Keller der Klinik, und
Baum, dessen Fürsorge es anvertraut war, aber er brachte es nicht
einmal über sich, selbst zu ihr zu gehen.
Er richtete sich auf seinem Sitz auf. Das war
merkwürdig, entschieden merkwürdig. Ein Arzt, der Angst davor
hatte, sei ner eigenen Patientin nahe zu kommen. Es mußte
irgendeine Erklärung dafür geben.
Der Flug verlief ohne besondere Ereignisse. Als sie in
Croy don zu der wartenden Limousine gingen, sagte er zu Munro:
»Werden Sie mich heute abend brauchen, Sir?«
»Nein, mein Sohn. Warum amüsieren Sie sich nicht mal richtig?«
»Das werde ich, Sir. Könnte es
im Savoy versuchen«, ant wortete Craig und öffnete dem
Brigadegeneral den Wagen schlag.
»Die Besprechungen sind immer in der
Bibliothek«, erläuter te Hortense. »Sonst benutzt
Priem sie als sein Hauptbüro. Er schläft sogar dort auf einem
Feldbett. Er hat noch ein kleineres Büro neben dem von
Reichslinger, aber das ist nur für die Rou
tineangelegenheiten.«
»Wie aufopfernd«, bemerkte Geneviève. »Ich meine, das Feldbett.«
»Alle wichtigen Papiere werden im Safe in
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