Das große Doppelspiel
ein,
und René fuhr weiter.
Sie holte eine Zigarette heraus, und er
zückte hastig sein Feuerzeug. »Ich hoffe, Sie hatten einen
angenehmen Aufent halt in Paris?« Sein Französisch war
vom Wortschatz und von der Grammatik her erstaunlich gut, aber er hatte
einen schreck lichen Akzent.
Sie antwortete: »Eigentlich nicht. Der Service
ist neuerdings ganz erbärmlich, und man wird immerfort angehalten
und durchsucht, was sehr lästig ist. Aber ich nehme an, die
Solda ten müssen mit irgend etwas beschäftigt werden,
wenn sie schon nicht kämpfen.«
»Ich kann Ihnen versichern, daß all das
sehr notwendig ist, Mademoiselle. Meine Kameraden in Paris haben beim
Aufspü ren von Saboteuren und Terroristen viel Erfolg
gehabt.«
»Wirklich? Es überrascht mich eher,
daß es Ihnen mit die sem Aufgebot an Soldaten nicht gelungen
ist, die Résistance gänzlich auszulöschen.«
»Sie verstehen nicht, wie schwierig das ist.«
»Das möchte ich, offen gesagt, auch gar nicht. Nicht sehr in teressant.«
Sie sah, daß er zornig war, und schenkte ihm ein
bestrickendes Lächeln von der Sorte, für die ihre Schwester
berühmt war, und konstatierte befriedigt, daß er schluckte.
»Wie geht es dem General?« fragte sie. »Er ist doch bei gu ter Gesundheit?«
»Soweit ich weiß, ja.«
»Und Priem?«
»Er ist seit gestern Standartenführer.«
»Wie schön für ihn.« Sie lachte.
»Er nimmt sich sehr ernst, aber man muß zugeben, daß
er wirklich tüchtig ist.«
Reichslinger konnte sich nicht zügeln.
»Keine große Kunst, wo andere die Arbeit für ihn machen«, murrte er.
»Ja, es muß sehr frustrierend
für Sie sein. Warum lassen Sie sich nicht an die Front versetzen,
am besten nach Rußland? Ich könnte mir vorstellen, daß
Sie sich dort schnell mit Ruhm be decken werden.«
Inzwischen machte es ihr uneingeschränkt
Spaß, weil sie sah, daß es klappte, daß er sie ohne
den Schatten eines Zwei fels als Anne-Marie akzeptierte. Ihr wurde
bewußt, daß es in gewissem Sinn ein Glücksfall war,
ihn getroffen zu haben.
»Ich werde gehen, wohin der Führer mich schickt«, sagte er salbungsvoll.
In diesem Moment fuhren sie durch eine scharfe Kurve,
und René mußte das Steuer herumreißen, um einer
alten Frau aus zuweichen, die am Rand der Straße eine Kuh am
Strick führte. Geneviève wurde in die Ecke gedrückt,
Reichslinger mit ihr, und sie merkte, daß seine Hand auf ihrem
Knie war.
»Ist alles in Ordnung, Mademoiselle?«
Seine Stimme war rauh, der Griff oberhalb ihres Knies
wur de fester. Sie sagte eisig: »Nehmen Sie die Pfote weg,
Reichs linger, sonst muß ich Sie bitten auszusteigen.«
Sie waren kurz vor Dauvigne, einem kleinen Dorf, und
René nahm, da er Böses ahnte, Gas weg und fuhr dichter am
Stra ßenrand. Reichslinger, der zu weit gegangen war, um
einen Rückzieher zu machen, bewegte die Hand etwas höher.
»Was haben Sie denn?« fragte er.
»Bin ich Ihnen vielleicht nicht gut genug? Ich kann Ihnen
jederzeit beweisen, daß ich als Mann mindestens ebensogut bin wie
Priem.«
»Das bezweifle ich«, sagte sie. »Der
Oberst ist ein Herr, was Sie entschieden nicht sind. Um ganz offen zu
sein … Ich finde Sie eine Stufe zu weit unter mir,
Reichslinger.«
»Sie arrogantes Biest, ich werde Ihnen zeigen …«
»Sie werden mir gar nichts
zeigen.« Ihre Hand kam mit der Walther aus der Tasche. Mit einer
raschen Bewegung, wie Craig Osbourne es ihr beigebracht hatte,
entsicherte sie die Waffe und drückte ihm die Mündung in die
Seite. »Hinaus aus dem Wagen!«
René bremste heftig, und der Rolls hielt.
Reichslinger rückte mit wutverzerrtem Gesicht von ihr fort, machte
die Wagentür auf und stieg aus. Sie zog die Tür zu, und
René fuhr fast im selben Moment weiter. Sie schaute sich um und
sah Reichslin ger sonderbar hilflos am Straßenrand stehen.
»Wie war ich, René?«
»Ihre Schwester wäre stolz auf Sie gewesen, Mademoiselle.«
»Gut.«
Sie lehnte sich zurück und griff zum Zigarettenetui.
Sie erreichten den Kamm, und sie sah es, knapp einen
Kilo meter entfernt, zwischen grünen Bäumen an den
Fuß der Hügel geschmiegt: Schloß Voincourt. Die Sonne
schien auf den alten grauen Stein. Ein Adelswohnsitz, der die
Religionskriege, eine Revolution und viele schlechte Zeiten
überstanden hatte. Schon als kleines Mädchen hatte sie ein
beseligendes Gefühl des Friedens empfunden, wenn sie hierher
zurückgekommen war, und so war es auch jetzt. Ein
uneingeschränktes Glück, schon bei
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