Das große Doppelspiel
gewisse Distanz zu denjenigen Gästen
zu halten, die sie eigentlich mehr oder weniger gut kennen
müßte. Jemand öffnete die Tür zur Terrasse, und
kühle Luft drang herein. Es waren ziemlich viele Leute da. Am
Nachmittag war ein SSBrigadeführer namens Seilheimer zusammen mit
seiner Frau und zwei Töchtern und einem Obersten vom Heer
gekommen, der einen Arm in der Schlinge hatte und nach der Art, wie die
jüngeren Offiziere ihn umdrängten, irgendeine Heldentat im
Krieg vollbracht haben mußte. Die Anwesenheit Ziemkes und des
Brigadeführers ließ keine ausgelassene Stimmung auf
kommen, und vielleicht waren sie sich dessen bewußt, denn die
beiden zogen sich früh zurück, um sich zu unterhalten, und
die Musik wurde ein bißchen flotter.
Zwei junge Offiziere kümmerten sich in der ersten
Stunde abwechselnd um das Grammophon, überließen die Aufgabe
dann jedoch einem Unteroffizier und versuchten ihr Glück bei den
Generalstöchtern, die beide höchstens siebzehn Jahre alt zu
sein schienen und vor Aufregung, im Mittelpunkt all der Auf
merksamkeit zu stehen, knallrote Wangen hatten.
Sie freuten sich natürlich auf den
Ball und die Möglichkeit, den großen Rommel kennenzulernen.
Die jüngere, die ständig albern kicherte, sagte, sie
hätte noch nie so viele gutaussehende junge Männer in einem
Raum zu Gesicht bekommen, und was Geneviève denn von dem
schwarzhaarigen Oberst der Waffen SS halte? Sie sprachen
französisch, worum sich übrigens auch die meisten anderen
Gäste redlich bemühten.
Die letzte Bemerkung fiel ein bißchen zu laut
aus. Max Priem, der ein Glas Cognac in der Hand hatte, machte ein
tod ernstes Gesicht, während er sich weiter mit dem Oberst
vom Heer unterhielt, aber als er Geneviève einen kurzen Blick
zu warf, funkelten seine Augen belustigt.
Sie beobachtete ihn eine Weile, diesen Mann, der so
ganz anders war als alles, was sie erwartet hatte. Alle Deutschen seien
unmenschliche Nazis, wie Reichslinger; das hatte sie geglaubt, weil es
das war, was man ihnen immer erzählt hatte.
Priem war jedoch anders als die anderen Deutschen, die
sie bisher kennengelernt hatte. Wenn sie ihn ansah, wußte sie,
was man mit dem Ausdruck »geborener Soldat« meinte. Aber da
war trotzdem all das, was er und Leute wie er getan hatten. Ein wenig
davon hatte sie in den letzten Tagen selbst gesehen, und es gab andere,
viel schrecklichere Dinge. Zum Beispiel die Lager. Sie erschauerte
leicht. Solche Gedanken waren idio tisch. Sie war hier, um einen
Auftrag zu erledigen, und darauf mußte sie sich konzentrieren.
Die Musik war eine sonderbare Mischung, nicht nur
deut sche Melodien. Es gab französische Schlager und sogar
einen amerikanischen Boogie-Woogie. Morgen würde es ganz anders
sein. Helle Beleuchtung und dezente Musik, ein kleines Orche ster.
Sie würden Bowle aus den Silberschalen der Voincourts und eine
Menge Champagner trinken und von Soldaten in Ga launiform und mit
weißen Handschuhen bedient werden.
Ein junger Oberleutnant trat zu ihr und
bat sie so schüchtern um den nächsten Tanz, daß sie ihm
Anne-Maries strahlendstes Lächeln schenkte und sagte, ja, mit
Vergnügen. Er war ein her vorragender Tänzer, sicher der
beste im Raum, und errötete vor Freude, als sie ihm zu seinem
Können gratulierte.
Während eine neue Schallplatte aufgelegt wurde,
standen sie mitten im Zimmer und plauderten, und da sagte
plötzlich je mand: »Und nun bin ich an der
Reihe.«
Reichslinger trat so rüde zwischen sie, daß
der Oberleutnant hastig einen Schritt zurück machen mußte.
»Ich suche mir gern selbst aus, mit wem ich tanze«, sagte sie.
»Ich auch.«
Als die Musik begann, umfaßte Reichslinger fest
ihre Taille und nahm ihre Hand. Er lächelte die ganze Zeit, da er
seine dominierende Rolle genoß und wußte, daß sie
kaum etwas tun konnte, ehe die Platte zu Ende war.
»Als wir uns das letztemal sahen, sagten Sie,
ich sei kein Herr«, sagte er. »Ich muß mich also um
bessere Manieren be mühen.«
Er lachte, als hätte er etwas sehr Geistreiches
von sich gege ben, und sie merkte, daß er mehr als ein
bißchen betrunken war. Als die Musik verklang, blieben sie an
einer der offenen Fenstertüren stehen, und er schob sie hinaus auf
die Terrasse.
»Ich finde, das reicht«, sagte sie.
»Oh, nein, noch nicht.« Er packte ihre
Arme und drückte sie gegen die Mauer. Sie wehrte sich, und er
lachte amüsiert, be nutzte offensichtlich nur seine halbe
Kraft, und dann hob sie den Fuß und
Weitere Kostenlose Bücher