Das große Haus (German Edition)
um ihn zu den anderen zu legen. Sofern es andere gibt. Es wäre schön, einfach nur zu denken, dass du kommen würdest, und sei es einmal im Jahr. Ich weiß, wie das klingt, wo ich an dem Vergessen, das mich erwartet, doch nie gezweifelt habe. Am Anfang, als ich mit meinen kleinen Wanderungen durch das Tal des Todes begann und diesen Wunsch in mir entdeckte, war ich selbst überrascht. Ich erinnere mich noch genau, wie es passiert ist. Uri kam eines Morgens, um mich zum Augenarzt zu bringen. Über Nacht hatte sich ein kleiner dunkler Fleck in der Sicht meines rechten Auges eingenistet. Es war nur ein Punkt, aber diese kleine Lücke machte mich verrückt, alles, was ich sah, wurde davon in Mitleidenschaft gezogen. Ich geriet in Panik. Was, wenn ein zweiter Fleck auftauchte, und dann noch einer? Ich kam mir vor wie lebendig begraben, unter einer Schaufel Erde nach der anderen, bis nur noch ein Stich Licht übrig blieb, und dann nichts mehr. Nachdem ich mich in Zustände versetzt hatte, rief ich Uri an. Eine Stunde später meldete er sich, er habe mir einen Termin besorgt und komme mich abholen. Wir fuhren zum Doktor, es war alles nicht so schlimm, nichts Ernstes, danach stiegen wir ins Auto, um nach Hause zu fahren. Unterwegs flog aus dem Nichts ein Stein an die Windschutzscheibe. Es tat einen fürchterlichen Schlag. Der Knall fuhr uns durch alle Glieder, und Uri stieg auf die Bremse. Wir saßen schweigend da, wagten kaum zu atmen. Die Straße war leer, keine Menschenseele weit und breit. Wie durch ein Wunder, das begriffen wir erst langsam, war die Scheibe nicht zerbrochen. Das einzige Zeichen war eine geborstene Stelle, groß wie ein Fingerabdruck, fast genau zwischen meinen Augen. Dann entdeckte ich den Stein, sah ihn in der Vertiefung für die Scheibenwischer liegen. Hätte er das Glas durchschlagen, wäre es vielleicht mein Tod gewesen. Mit zitternden Beinen stieg ich aus dem Auto und nahm den Stein. Er füllte meine Handfläche, und als ich die Finger um ihn schloss, passte er genau in meine Faust. Das ist der erste, dachte ich. Der erste Stein zu meinem Grab. Der erste, der sich wie ein Punkt ans Ende meines Lebens setzt. Bald werden die Trauernden Stein um Stein bringen, um den langen Satz, der mein Leben war, an seiner letzten, abgewürgten Silbe zu verankern –
Und da, mein Kind, dachte ich an dich. Ich merkte, wie wenig es mich kümmerte, ob die anderen kommen würden. Dass der einzige Stein, den ich mir wünschte, deiner war, Dov. Der Stein, der einem Juden so vieles bedeuten kann, aber in deiner Hand nur eins bedeuten konnte.
Mein Kind. Meine Liebe und mein Bedauern, die du warst, als du dich das erste Mal meinen Augen dargeboten hast, ein winziges uraltes Männlein, das noch keine Zeit gehabt hatte, seine alten Züge abzustreifen, nackt und missgestaltet in den Armen der Schwester. Dr. Bartov, mein alter Freund, der gegen die Vorschriften verstieß, damit ich dabei sein konnte, wandte sich an mich und fragte, ob ich die Nabelschnur durchtrennen wolle, diese aufgequollene, weißblaue, gewundene Verbindung, so viel dicker, als ich sie mir je vorgestellt hatte, eher wie ein Seil, mit dem man ein Boot festbindet, und ohne nachzudenken, sagte ich ja. Einfach so, sagte er, der es schon tausendmal gemacht hatte. So machte ich es denn, und plötzlich tanzte sie wie eine Schlange in meinen Händen, Blut spritzte durch den Raum, berieselte die Wände wie am Tatort eines Verbrechens, und du öffnetest die Augen, ich schwöre es, du öffnetest deine feuchten kleinen Augen und sahst mich an, als wolltest du dir das Gesicht dessen, der dich von ihr getrennt hatte, unauslöschlich ins Gedächtnis einprägen. In diesem Moment erfüllte mich etwas. Wie unter einem in mich geleiteten Druck, der alles ausdehnte, von innen gegen die Wände drückte, eine Art innere Belagerung, wenn so etwas denkbar ist, und ich hatte das Gefühl, von alledem zu explodieren, von Liebe und Bedauern, Dov, Liebe und Bedauern, wie ich sie nie für möglich gehalten hatte. In dem Augenblick habe ich erstaunt begriffen, dass ich dein Vater geworden war. Es war ein kurzes Staunen, denn gleich darauf begann deine Mutter zu bluten, eine Schwester hob dich hinweg und eilte mit dir davon, während die andere mich aus der Tür schob und im Wartezimmer ablieferte, wo die Männer, die ihre Neugeborenen noch nicht gesehen hatten, auf meine blutigen Schuhe und bebenden Lippen starrend, zu husten und zu zittern begannen.
Du sollst wissen, dass ich es
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