Das große Haus (German Edition)
sah ich dich wieder über einen Teller Essen gebeugt, das du nicht essen wolltest, und fragte stattdessen: Wen bestrafst du eigentlich? Glaubt du wirklich, es täte dem Leben weh, wenn du es ablehnst?
Auf Schritt und Tritt rasselte der Schmerz in dir, die alten Verletzungen, vermischt mit den neuen. Und für alles, was da zusammenkam, wurde ich untergründig angeklagt. Aus jedem Winkel zeigtest du mir nur den Rücken. Mein Groll wuchs, gegen euch beide, dich und deine Mutter, euer unantastbares konspiratives Lager, von dem ich, der brutale Rohling, ausgeschlossen war – um mich für mein komplettes Unverständnis und vieles andere, dessen ich schuldig war, zu bestrafen. Er fühlt sich von dir verletzt, sagte sie, als ich wegen ihrer Komplizenschaft mit deinem Schweigen, jenem speziellen gläsernen Schweigen, mit dem du nur mich bedachtest, vom Leder zog. Und du glaubst, er habe gute Gründe für diese Gefühle?, fragte ich. Du glaubst, er habe recht, dass ich – was? Ihn schlecht behandelt hätte? Ihn nicht richtig geliebt hätte? Aaron, sagte sie scharf und sog geräuschvoll ihren Atem ein. Ich habe ihn so geliebt, wie ich ihn lieben konnte!, schrie ich, und noch während ich schrie, wurde mir bewusst, dass ich ihrer – und deiner – erdrückenden Beweislast gegen mich gerade wieder ein Quäntchen hinzufügte. Womöglich habe ich sogar eine Schüssel – ja, eine Schüssel mit Erdbeeren – durchs Zimmer geschleudert, und das Glas zersplitterte. Gut möglich, dass ich so etwas gemacht habe. Wenn die Erinnerung nicht trügt. Es stimmt, von Zeit zu Zeit geht mein Temperament mit mir durch. Das Glas zersplitterte, und im Gefolge dieses Krachs zog ihr gerechtes Schweigen durch den Raum. Am liebsten hätte ich noch mehr zerschlagen.
Sobald ich den Mund aufmachte, wurdest du wütend und schmerzgeplagt. Jetzt ist er nur noch Opfer, egal worum es geht, sagte ich zu deiner Mutter. Er kultiviert sein Recht zu leiden. Aber wie immer ergriff sie für dich und gegen mich Partei. Eines Abends hatte ich die Schnauze voll, ich beschimpfte sie: Dann bin ich jetzt also auch noch schuld am Tod des Kommandanten? Es war ungerecht, ich bereute es sofort. Aber einen Moment später hörte ich die Haustür knallen und wusste, du hattest mich gehört. Ich lief dir nach, um dich zurückzuholen. Auf der Straße hast du geweint und wild versucht, mich abzuschütteln. Ich habe dich gepackt und deinen Kopf an meine Brust gedrückt, bis du aufhörtest zu kämpfen. Ich hielt dich fest umschlungen, du hast geschluchzt, und hätte ich sprechen können, hätte ich gesagt: Ich bin nicht der Feind. Ich bin nicht derjenige, der diesen Brief geschrieben hat. Lieber sollten tausend sterben, nur nicht du.
Monate vergingen, und es änderte sich nichts. Dann, eines Tages, kamst du in mein Büro. Ich kehrte von einem Mandatsgespräch zurück, und da saßest du an meinem Tisch, bedrückt eine Zeichnung auf meinen Notizblock kritzelnd. Ich war überrascht. So lange warst du kaum aus dem Haus gegangen, und plötzlich sitzt du vor mir wie die lebenden Toten. Ich konnte mich nicht erinnern, wann du mich zuletzt bei der Arbeit aufgesucht hattest. Um Worte verlegen, sagte ich: Ich wusste gar nicht, dass du kommen wolltest. Ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, dass ich einen Entschluss gefasst habe, sagtest du ernst. Gut, sagte ich, immer noch stehend, wunderbar, obwohl ich keine Ahnung hatte, was für ein Entschluss das sein mochte. Der bloße Gedanke, dass du dich offenbar aufgerappelt hattest, dir eine Zukunft vorzustellen, war genug. Du schwiegst. Nun?, sagte ich. Ich werde Israel verlassen, sagtest du. Und wo willst du hin?, fragte ich, um Beherrschung meiner aufflackernden Wut bemüht. Nach London, sagtest du. Und was willst du dort? Bis dahin hattest du mir nicht in die Augen gesehen, aber jetzt hobst du den Kopf und blicktest mich direkt an. Ich werde Jura studieren, sagtest du.
Ich war sprachlos. Nicht nur, weil du noch nie ein Interesse an der Juristerei bekundet hattest, sondern weil es dir von Kindheit an so wichtig gewesen war, nicht so zu werden wie ich. Ja sogar mehr als das – das unbedingte Gegenteil von mir zu sein. Wenn ich laut sprach, warst du derjenige, der immer leise sprach, wenn ich Tomaten liebte, hast du sie gehasst. Ich war baff über diesen plötzlichen Sinneswandel und rang um Verständnis, was er zu bedeuten haben könnte. Wärst du nicht ein so ernsthafter Mensch gewesen, hätte ich wohl gedacht, du wolltest dich über mich
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