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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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lustig machen. Zugegeben, du als Jurist – das konnte ich mir nicht vorstellen, aber in jenen Tagen war es alles andere als einfach, sich dich überhaupt als irgendetwas vorzustellen.
    Ich wartete auf mehr, aber es kam nichts. Du standest abrupt auf, sagtest, du müsstest gehen, einen Freund treffen. Du, der seit Monaten niemanden hatte sehen wollen. Nachdem du gegangen warst, rief ich deine Mutter an. Was hat das alles zu bedeuten?, fragte ich. Was alles?, fragte sie. Die ganze Zeit liegt er in katatonischer Starre auf seinem Bett, sagte ich, und plötzlich schreibt er sich zum Jurastudium in London ein? Darüber redet er schon seit einer Weile, sagte sie. Ich dachte, du wüsstest es. Wissen? Wissen? Wie sollte ich es wissen? Wo in meinem eigenen Haus doch niemand mit mir spricht. Hör auf, Aaron, sagte sie. Du bist lächerlich. Jetzt war ich also nicht mehr nur der Rohling, sondern auch noch lächerlich. Ein Knallkopf, mit dem niemand mehr zu reden brauchte, der abgeschoben wurde wie eine mürrische, lästige Katze, die man vor die Tür setzt und zu füttern vergisst, um sie an eine andere Familie loszuwerden, die sich um sie kümmert.
    Du bist abgereist. Ich brachte es nicht über mich, dich zum Flughafen zu fahren. Ich hatte dich zum Aufbruch in den Krieg gefahren, aber ich konnte dich nicht in das Flugzeug setzen, das dich aus unserem Land entfernen würde. Ich hatte eine Gerichtsverhandlung. Vielleicht hätte ich sie absagen können, aber ich tat es nicht. Deine Mutter blieb die letzte Nacht vor deinem Abflug wach, um einen Pullover, den sie dir gestrickt hatte, fertigzubekommen. Hast du ihn je getragen? Sogar ich konnte sehen, wie wenig schmeichelhaft er war, sackartig vor lauter Angst, du würdest dich zu Tode frieren. Wir hoben uns den Abschied für morgens auf. Aber als ich zur Arbeit aus dem Haus musste, schliefst du noch.
    Von Anfang an waren deine Noten glänzend. Du bist leicht an die Spitze deines Semesters aufgestiegen. Das Leiden verschwand nicht, schien aber abzuklingen. Du hieltest es unter endloser, obsessiver Arbeit begraben. Als du deine Promotion abgeschlossen hattest, dachten wir, du würdest nach Hause kommen, aber du kamst nicht. Du wurdest Anwalt und Mitglied einer angesehenen Kanzlei. Du hast unmögliche Arbeitszeiten gehabt, dir keinen Platz für irgendetwas anderes gelassen und dir schnell einen Namen als Strafrechtler gemacht. Du hast verfolgt und verteidigt, die Waage der Gerechtigkeit gehalten, Jahre vergingen, du hast geheiratet, dich scheiden lassen, wurdest zum Richter ernannt. Und erst später habe ich begriffen, was du mir an jenem Tag vor so langer Zeit wohl hattest sagen wollen: Du würdest nicht zu uns zurückkehren.
     
    Das alles ist lange her. Und doch komme ich unwillkürlich darauf zurück. Wie um, gleichsam rituell, ein letztes Mal jeden erhaltengebliebenen Restschmerz zu ertasten. Nein, die unbändigen Gefühle der Jugend beruhigen sich nicht mit der Zeit. Man bekommt sie in den Griff, lässt die Peitsche knallen, zwingt sie nieder. Man baut sich seine Festung. Sorgt für Ordnung. Die Stärke des Fühlens lässt nicht nach, sie wird nur in Schach gehalten. Aber jetzt zerfallen langsam die Mauern. Auf einmal denke ich an meine Eltern, Dovi. An bestimmte Bilder meiner Mutter im schattigen Abendlicht, in der Küche, und ich sehe, dass ihr Ausdruck etwas anderes bedeutete als das, was ich ihm als Kind entnommen hatte. Sie schloss sich im Klo ein und bestand nur noch aus Lauten. Gedämpft durch die Tür, an der mein Ohr lauschte. Meine Mutter war für mich zuerst und vor allem ein Geruch. Unbeschreiblich. Lass es. Dann ein Gefühl, ihre Hände auf meinem Rücken, die weiche Wolle ihres Mantels an meiner Wange. Dann war sie Stimme, und schließlich, als abgeschlagenes Viertes, kam ihr Anblick hinzu. Wie sie für mich aussah, immer nur in Teilen, nie insgesamt. Sie so groß und ich so klein, dass ich nur eins auf einmal fassen konnte, bald eine Rundung, bald das vorquellende Fleisch über einem Gürtel, den Ausschnitt mit Sommersprossen bis zur Brust hinunter oder die in Strümpfe gehüllten Beine. Mehr war unmöglich. Einfach zu viel. Nachdem sie gestorben war, hat mein Vater noch fast zehn Jahre gelebt. Sich die eine zittrige Hand mit der anderen gehalten. Ich traf ihn nur noch in Unterwäsche an, unrasiert, mit heruntergelassenen Jalousien. Ein pedantischer, ja sogar eitler Mann in einem fleckigen Unterhemd. Er brauchte ein ganzes Jahr, bis er sich wieder richtig anzog.

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