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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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Handvoll Nüsse und beobachtete dein Gesicht. Ich weiß nicht, wo ich bei dieser kleinen Geschichte anfangen soll mit den Problemen, erklärte ich dir. Problemen?, sagtest du mit schriller, dann brechender Stimme. Im Quell deiner Augen sah deine Mutter das Leiden eines Kindes, das unter der Knute eines Tyrannen aufgewachsen ist, aber am Ende hatte die Tatsache, dass du nie ein Schriftsteller geworden bist, nichts mit mir zu tun.
     
    Also was? Wo anfangen? Nach alledem, den Abertausenden von Worten, den endlosen Gesprächen, dem unentwegten Hin und Her darüber, den Anrufen, Erklärungen, Bedrängungen und Betonungen, dem Verdunkeln und Beleuchten, und dann dem Schweigen all dieser Jahre – wo?
    Es dämmert fast. Von dem Platz aus, wo ich am Küchentisch sitze, kann ich das Eingangstor sehen, und jetzt wirst du jede Minute von deiner nächtlichen Streunerei zurückkehren. Ich werde dich in deiner alten blauen Windjacke, die du in deinem Schrank ausgegraben hast, vor dem Haus auftauchen sehen, und du wirst dich vorbeugen, um den verrosteten Riegel zu lösen und dir aufzumachen. Du wirst die Tür öffnen, deine nassen Treter ausziehen, voller Dreck an den Rändern und Gras unter den Sohlen, und dann wirst du in die Küche kommen und mich finden, der auf dich wartet.
     
    Als du und Uri noch sehr klein wart, lebte eure Mutter in ständiger Angst, zu sterben und euch alleinzulassen. Allein mit mir, hob ich hervor. Sie blickte drei-, viermal in beide Richtungen, ehe sie die Straße überquerte. Jedes Mal, wenn sie heil nach Hause kam, hatte sie einen kleinen Sieg über den Tod errungen. Sie hob dich und deinen Bruder auf die Arme, aber du warst immer derjenige, der am längsten an ihr hängen blieb, deine kleine Schniefnase in ihren Hals vergraben, als hättest du die Gefahr geahnt. Einmal weckte sie mich mitten in der Nacht. Es war kurz nach dem Suez-Krieg, in dem ich genauso gekämpft hatte wie 48, wie eben jeder kämpfte, der ein Gewehr halten oder eine Handgranate werfen konnte. Ich will, dass wir hier fortgehen, sagte sie. Was sagst du?, fragte ich. Ich werde sie nicht in den Krieg schicken, sagte sie. Eve, sagte ich, es ist spät. Nein, sagte sie und setzte sich auf, ich werde es nicht zulassen. Warum grämst du dich, es sind noch Babys, sagte ich. Bis sie alt genug sind, wird es keine Kämpfe mehr geben. Leg dich hin und schlaf. Drei Wochen zuvor hatte eine Granate einen Kumpel aus meinem Bataillon draußen vor unserem Zelt erwischt und in die Luft geblasen. Er war in Stücke zerfetzt. Am nächsten Tag brachte ein Hund, der überall mit Resten gefüttert wurde, seine Hand mit, legte sich in die Mittagssonne und kaute darauf herum. Es fiel mir zu, dem hungrigen Tier die verstümmelte Hand abzuringen. Ich wickelte sie in einen Lappen und hob sie unter meinem Bett auf, bis jemand sie seiner Familie schicken könnte. Später bekam ich die Nachricht, solche Kleinstteile würden nicht zurückgeschickt. Ich fragte nicht, was daraus würde. Ich übergab die Hand, und sie machten damit, was sie wollten. Hatte ich Albträume danach? Habe ich nachts aufgeschrien? Lass es. Was hilft’s, in solchen Sachen zu wühlen. Denk jetzt nicht darüber nach, sagte ich zu deiner Mutter und drehte mich zum Schlafen um. Ich habe schon darüber nachgedacht, sagte sie. Wir ziehen nach London. Und wie sollen wir leben?, fragte ich, drehte mich ruckartig zurück und packte sie an den Handgelenken. Einen Augenblick war sie still, hielt den Atem an. Du findest schon einen Weg, sagte sie dann ruhig.
    Aber wir zogen nicht weg, ich fand keinen Weg. Ich war mit fünf Jahren nach Israel gekommen, fast alles in meinem Leben hatte sich hier abgespielt. Nichts würde mich bewegen, dieses Land zu verlassen. Meine Söhne würden in der Sonne Israels aufwachsen, sich von den Früchten Israels ernähren, unter Israels Bäumen spielen, mit der Erde ihrer Vorfahren unter den Fingernägeln, und wenn nötig, würden sie auch kämpfen. Deine Mutter wusste das alles von Anfang an. Bei Tageslicht, im Licht meiner Sturheit, band sie sich ein Tuch ums Haar, ehe sie auf die Straße ging, hinaus, um gegen den Tod zu kämpfen, und kehrte siegreich nach Hause zurück.
    Als sie starb, rief ich zuerst Uri an. Versteh das, wie du willst. All die Jahre war es Uri, der kam, wenn das Garagentor klemmte, Uri, wenn der blöde DVD-Player verreckte, Uri, wenn das Scheißding von GPS-System nicht aufhörte zu quatschen, wer braucht das schon in einem Land so groß wie eine
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