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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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sagt, Dova’leh, als gäbe es eine andere. Das Landschaftsbild war an die Wand genagelt. So ist das Leben, mein Junge: Wenn du glaubst, in irgendetwas originell zu sein, Pustekuchen.
     
    Ich fuhr mit ihrem Leichnam zur Totenhalle mit. Ich war der Letzte, der sie anschaute. Ich zog das Tuch über ihr Gesicht. Wie ist das möglich?, dachte ich die ganze Zeit. Wie kann ich das tun, schau meine Hand an, sie streckt sich aus, jetzt ergreift sie das Tuch, wie? Zum allerletzten Mal werde ich das Gesicht sehen, das ich ein Leben lang betrachtet habe. Lass es. Ich suchte in meiner Tasche nach einem Taschentuch. Stattdessen zog ich den zerknüllten Brief an Avner Segals Siebte-Klasse-Lehrerin heraus. Ohne nachzudenken, strich ich ihn glatt, faltete ihn zusammen und schob ihn zu ihr hinein. Ich steckte ihn unter ihren Ellbogen. Ich glaube, sie hätte das verstanden. Sie ließen sie in die Erde hinab. Irgendwie wurden mir die Knie weich. Wer hatte das Grab ausgehoben? Plötzlich musste ich es wissen. Er musste die ganze Nacht gegraben haben. Als ich an das abgrundtiefe Loch trat, schoss mir der absurde Gedanke durch den Kopf, ich müsse ihn finden und ihm ein Trinkgeld geben.
    Irgendwann mittendrin kamst du. Ich weiß nicht wann. Ich drehte mich um, und da warst du in einem dunklen Regenmantel. Du bist alt geworden. Aber noch schlank, weil du immer die Gene deiner Mutter hattest. Da standest du auf dem Friedhof, der einzige überlebende Träger dieser Gene, denn Uri, das brauche ich dir nicht zu sagen, Uri kam immer nach mir. Da standest du, der Richter, das hohe Tier aus London, und wartetest mit ausgestreckter Hand, dass du mit der Schaufel an die Reihe kamst. Weißt du, was ich tun wollte, mein Junge? Ich wollte dich ohrfeigen. Vom Fleck weg, dich mitten ins Gesicht schlagen und dir sagen, du sollst dir deine eigene Schaufel suchen. Allein um deiner Mutter willen, die keine Szenen mochte, gab ich die Schaufel weiter. Ich musste mich mit aller Macht zusammenreißen, aber ich gab sie dir und beobachtete dich, wie du dich bücktest, die Schaufel in den Haufen loser Erde schobst und mit einem leichten, kaum wahrnehmbaren Zittern in den Händen an das Loch tratst.
    Danach haben sich alle in Uris Haus versammelt. Ich dachte, das sei das Äußerste, was ich ertragen könnte – nicht in meinem Haus, nicht sieben Tage –, aber sogar das war zu viel. Die Kinder waren zum Fernsehen in der Hinterstube eingesperrt. Ich schaute die Gäste an, die um mich waren, und plötzlich hielt ich es keine Sekunde mehr aus, unter ihnen zu sein. Ich hielt es nicht aus, konnte weder die Seichtheit noch die Tiefe ihrer Trauer ertragen – wer von ihnen hatte schon eine wahre Vorstellung davon, was da verlorengegangen war? Ich ertrug es nicht, weder die selbstgerechten Tröstungen, die idiotischen Rechtfertigungen der Frommen noch das Mitgefühl von Eves alten Freundinnen oder den Töchtern dieser Freundinnen, die betulich auf meine Schulter gelegte Hand, die geschürzten Lippen, die gerunzelte Stirn, dieser Ausdruck, den ihre Gesichter so selbstverständlich annahmen, nachdem sie jahrelang Kinder großgezogen, sie zur Armee geschickt und ihre Männer durch das finstere Tal des mittleren Alters geführt hatten. Ohne noch ein Wort zu sagen, ohne einen Bissen angerührt zu haben, stellte ich den Teller ab, den jemand für mich gefüllt hatte, einen gehäuften Teller, randvoll, dessen Leichtigkeit, gemessen am Verhältnis zwischen Essen und Schmerz, mich anwiderte, und ging aufs Klo. Ich schloss die Tür ab und setzte mich auf die Schüssel.
    Bald hörte ich meinen Namen rufen. Mit der Zeit gesellten sich andere der Suche hinzu. Ich sah dich, verzerrt durch das Fensterglas, rufend im Garten vorbeigehen. Du riefst mich! Du, mich! Fast hätte ich gelacht. Und plötzlich sah ich dich, als du zehn Jahre alt warst, auf dem Wanderweg des Ramon-Kraters wild hin- und herlaufen, außer Atem, dein kleiner Mund weit aufgesperrt, während dir der Schweiß vom Gesicht tropfte, deine lächerliche Sonnenmütze wie eine schlappe Blume über den Kopf gestülpt. Mich rufend und rufend, weil du dachtest, verloren zu sein. Und ich? Rate was, mein Junge. Ich war die ganze Zeit da! Hinter einen Felsen geduckt, ein paar Meter den Hang hinauf. So war das, während du nach mir gerufen und geschrien hast, weil du dich in der Wüste verlassen glaubtest, hielt ich mich hinter einem Fels versteckt und wartete geduldig ab, wie der Widder, der Isaak gerettet hat. Ich war beides,

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